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Der perfekte Moment

Der perfekte Moment: Drei Dinge



Die Leuchtziffern des Weckers sprangen auf 0521. Irgendwo in jenem riesigen Gebäude, das einst ein Hotel gewesen war und nun als Kasernenersatz auf Fort Asha diente, knackten und knarzten die verbauten Metalle leise vor sich hin. Ansonsten war es still, und Lienas van Arden richtete den Blick an die Decke ihres Quartiers, das nur schwach von den türkisfarbenen Leuchtziffern erhellt wurde. Was für die meisten Menschen nur eine Ansammlung dunkler Konturen gewesen wäre, die man im nahezu vollständigen Dunkel mehr ertasten musste als sehen konnte, erschien vor den Augen der Offizierin als klare Landschaft mit Höhen und Tiefen, innerhalb derer sie sich jederzeit gut orientieren konnte.

Als Kind hatte sie ihren Vater dafür gehasst, dass er sie in das Forschungsprogramm geschleust hatte, welchem sie ihre außergewöhnlichen Augen verdankte. Denn unter Gleichaltrigen war sie ein Freak gewesen, und innerhalb einer Gesellschaft, für die Anpassung und Konformität sehr wichtig waren, erwies sich der vermeintliche Vorteil für eine Heranwachsende als Qual. Erst sehr viel später war ihr bewusst geworden, mit welcher Absicht ihr Vater gehandelt hatte und dass ihre verbesserte Dämmerungs- und Nachtsicht tatsächliche Vorteile waren. Vor allem im Einsatz.
Jetzt ließ sie einfach nur den Blick durch den ansonsten dunklen Raum schweifen und atmete den zart-süßen Duft der Pflanze auf ihrem Regal ein, die sich weidlich Mühe gab, aus dem eher nüchternen Raum eine Art Zuhause zu machen. Einschlafen würde sie ohnehin nicht mehr, und spätestens um 0545 würde sich der Wecker bemerkbar machen. Seit das Sturmregiment auf Jaguada stationiert war, hatte sie sich den Gepflogenheiten des Stützpunktes weitgehend angepasst, und um 0600 wäre es Zeit für den Morgenlauf von Staff Sergeant Limsharn. 

Eigentlich brauchte sie das Training nicht, aber wenn man den Tag schon damit beginnen konnte, den knackigen Hintern eines gut gebauten Spezialsoldaten dabei beobachten zu dürfen, wie er sich unter seiner Trainingshose immer wieder im Laufen vorteilhaft anspannte, wäre sie die letzte gewesen, die dazu nein sagte. Und es half auch ohne Caf wach zu werden.

Um ihren noch vom Schlaf müden Kopf in Schwung zu bringen, griff die Offizierin auf ein Gedankenspiel zurück, das sie schon sehr früh während ihrer Geheimdienst- Ausbildung gelernt hatte: 
Sie rief sich das Gesicht und den Namen einer beliebigen Person aus ihrem Umfeld vor Augen und versuchte, dieses Gesicht mit drei Dingen zu verbinden, die Persönlichkeit und Gewohnheiten widerspiegelten. 
So konnte man über längere Zeit hinweg sehr zutreffende Profile erstellen, die man so leicht nicht vergaß, vorausgesetzt, man hatte wie Lienas einen Sinn für visualisiertes Erinnern.



0526. Staff Sergeant Limsharn war ein leichter Einstieg. Zu ihm passte seine bevorzugte Waffe, der 'Läuferlocher', wie die Faust aufs Auge. Seit er sie bei ihrer letzten Schießübung einmal damit hatte schießen lassen, respektierte sie ihn für seine Arbeit noch ein Stückchen mehr. Mit einer ADLR-55 dauerhaft umzugehen erforderte nicht nur Geschick, sondern vor allem eine ruhige Hand. Sein zweites Ding war ein pinker Cocktail - den Drink, den er ihr nach ihrer letzten perfekten 10 auf dem Schießstand ausgegeben hatte und für seine generell offene und lockere Art stand. 
Und Magnesiumpulver, das beide verwendeten, wenn es ans Nahkampftraining ging. Es war so viel angenehmer, wieder mit einem ebenbürtigen Sparringspartner unterwegs zu sein als sich dauernd zurückhalten zu müssen. Und Limsharn schien ebenso wie sie selbst jemand zu sein, der sein Wissen aus allen möglichen Ecken erwarb, um es irgendwann passend einzusetzen, was die Kämpfe umso herausfordernder machte.

0528. Eine weitaus schwierigere Kandidatin war Sergeant Sapphire Morrison für ihr Spiel. Sie taten zwar gemeinsam Dienst und sie hatte immer wieder mit ihr zu tun, doch wirklich vieles wusste sie nicht über die Persönlichkeit der Blondine. Eine Chipkarte, welche Zugang zu einem Apartment gewähren würde, war das beherrschende Symbol für sie, da sie von einer eigenen Wohnung auf Kaas träumte. Dazu die imperiale Uniform - der Dienst war dem Sergeant wichtig, ebenso darin gute Leistungen zu bringen. Und eine Gürtelschnalle, den Lienas mit jenem Wortwechsel verband, bei dem Morrison von Söldner Garrm mit dem Begriff 'Schnalle' angesprochen worden war. Dennoch eine reichlich blasse Liste, die sie noch ausbauen wollte. Es würde sicher Zeit brauchen, mehr von ihr kennen zu lernen, denn trotz ihrer offenkundig freundlichen Art hielt sie privates gut unter Verschluss. Eine mustergültige Imperiale, und doch, Abgründe schleppte jeder mit sich herum.

0533. Die Minuten waren verstrichen, während sie die Gesichter der Mitglieder ihrer Einheit durchging und zu jedem mindestens einen Gegenstand hinzufügte. Die Bilder von Captain Stryder-Garrde hatte sie korrigieren müssen. Neben einer dicken Akte - nach wie vor war der Captain für sie ein Vorschriftsfetischist und Aktengläubiger, was sich wohl auch nie ändern würde - und der Uniform, die bei ihm wie bei Morrison für seine Dienstmotivation und Korrektheit stand, erhielt er ein neues Ding in ihrer inneren Zuordnung: Eine ausgestreckte Hand, die er geschüttelt hatte, als die erste Trainingsstunde vorübergegangen war. 
In diesem harten Hund steckte also doch mehr als der stocksteife Langweiler, und das war gut so. Sie würde bei seiner derzeitigen körperlichen Verfassung einige Monate mindestens mit ihm trainieren müssen, um seine wegen des fehlenden Lungenflügels miserable Kondition langsam aufzubauen. Wenn in seinem Kampfstil Überraschungen verborgen waren, würde es deutlich mehr Spaß machen.

0539. Seufzend rollte sie sich aus dem Bett und streckte sich im Stehen, bevor sie den Wecker deaktivierte und den Nebenraum ansteuerte. Schnell schlüpfte sie aus ihren Schlafshorts und dem Shirt, schlüpfte unter die Dusche und drehte sie auf die geeignete Temperatur, um Krebse zu kochen. Der empor wabernde Dampf ließ sie schmunzeln. PFC Avanum Jiros hatte den Wink bei der letzten Trainingseinheit verstanden und die Umgebungsvorteile genutzt - er begann, die richtige Sicht für seine künftige Arbeit zu entwickeln, und das war gut so. Manche lernten es nie, manche nur begrenzt. Er zeigte Talent - was für sie als Lehrende immer die beste Möglichkeit war, jemandem Wissen beizubringen. 
Jiros' Dinge hatte sie schnell zur Hand: Seine Uniform - auch bei ihm ein Sinnbild für Pflichtbewusstsein - die Zigarre, die er neulich geraucht und zum ersten Mal richtig genossen hatte (wie konnte man auch Zigarren mit einem Feuerzeug anzünden!) und der Helm, den er bei ihrer ersten Begegnung auf Kaas getragen und sich darunter verborgen hatte, Symbol dafür, dass man bei ihm mit Überraschungen rechnen musste. Andere mochten glauben, dass Jiros leicht einzuschätzen sei, sie wusste es besser.

Während sie den Seifenschaum abwusch, die Dusche ausschaltete und nach ihrem Handtuch griff, warf sie einen Blick in den Nachbarraum. 0543. Der andere Captain - Carsson Thrace - war auch so ein Kandidat für Fehlbeurteilungen. Neben seinem unvermeidlichen Cafbecher - der zum einen für seine Gewohnheit, Unmengen Caf zu konsumieren, aber auch für eine gewisse vermutete Dienstmüdigkeit des Offiziers stand - hatte sie zunächst nicht vieles finden können, um ihn angemessen zu beschreiben. Eine Regenwolke für die meistens eher düstere Stimmung, die er mit sich herumschleppte? Oder dann doch lieber eine Rolle Klopapier dafür, dass man ihn mit gut gezielten trockenen Sprüchen zum Lachen bringen konnte? 
An jenem Abend im HQ, an dem sie mit Limsharn herumgeblödelt hatte, war ihr zum ersten Mal bewusst geworden, dass sich auch der andere Captain offensichtlich sehr stark im Griff behielt, um nicht zu viel Emotionalität anderen gegenüber zuzulassen. Während sie selbst einen Lachanfall durchstehen musste, hatte er allenfalls dezent in seinen Caf geprustet. Dabei war es ein so guter Spruch gewesen!


0547. Das Handtuch flog in eine Ecke, danach streifte sie sich gähnend ihre Trainingssachen über. Für gewöhnlich nahm sie die Distanz zwischen ihrem Quartier und dem Startpunkt des Morgenlaufes im Laufschritt, heute war sie zu früh dran und konnte sich Zeit lassen. Die nächsten Tage würde sie hoffentlich auch ihr Com zurückerhalten, das derzeit von PFC Logan Saspirinowitsch repariert wurde. 
Der Techniker hatte seine drei Dinge nach und nach erhalten - zum einen sein Werkzeug, das seine Arbeitsweise bestimmte und mit dem er wohl alles reparieren konnte, was man ihm vor die Füße schippte, inclusive Klimakontrollen. Zum anderen ein Swoopbike dafür, dass in diesem vorgeblich linientreuen Imperialen ein Kopf steckte, der sich Regularien ungern unterwarf. Dazu ein 'Erbauungsheft' für die vielen gemeinen Fragen, die er ihr zu Captain Stryder-Garrdes unsäglichem Befehl gestellt hatte und die seinen hintergründigen Humor bewiesen. 
Kurz grinsend verließ sie die Kaserne und trabte über den Hof, der noch etwas übernächtigt wirkenden Laufgruppe entgegen. Wenigstens das Tittenheftproblem hatte sich in der letzten Zeit gelegt, nachdem sich die Wogen etwas geglättet hatten - und Miss Karamasowas Versuchen, sie als Model für die bereinigte Version imperialer Erbauungshefte zu gewinnen, würde sie auch irgendwie ausweichen. Lienas hob die Hand und begrüßte die Läufer, bevor sie die letzten Gedanken aus ihrem Kopf wischte und sich dem Training widmete. Ein neuer Diensttag hatte begonnen.

Über Gloria H. Manderfeld

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