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Rezension: Magun (Grundregelwerk)


Einstmals erschufen die Götter die Völker der Welt Magun, um herauszufinden, wer unter ihnen der Größte und Mächtigste sei, doch der daraus resultierende Krieg, der die Schöpfungen der Götter mit formte, zeigte ihnen deutlich ihre eigenen Stärken und Schwächen.Der konfliktgeschüttelte Kontinent Monderan erhält keine Gelegenheit, durchzuatmen: eine lange, grausame Zeitperiode voller Kriege und unendlichem Leid ist gerade zu Ende gegangen und die Welt konnte sich ein wenig von der Herrschaft der ewig lebenden Dreyven ein wenig erholen. 
Mit dem Erstarken der jüngeren Völker, welche einst als Dienerrassen für die Dreyven geschaffen worden waren, haben diese ihre Ketten abgestreift und suchen nach eigenen Wegen, doch nicht ohne jene Kenntnisse anzuwenden, welche sie in den langen Kriegen erlernten. Heute herrschen wenige über viele, und die Gier nach Macht ist längst nicht erstorben, wenngleich sie in andere Hände übergegangen ist. Mächtige Magis suchen nach Wissen, welches besser verborgen bleiben würde, und überall stellen sich Fragen nach Moral, Erlösung und der Bewahrung des eigenen Seelenheils …

Das knapp vierhundert Seiten starke Grundregelwerk in PDF-Format für das P&P-Rollenspiel »Magun« gliedert sich in insgesamt vier Hauptteile, wleche durch eine optisch sehr ansprechende und professionelle Gestaltung ins Auge fallen. Durchgehend in Grautönen gehalten, sind die Texte zweispaltig angelegt und werden durch viele Illustrationen sowie abwechslungsreiche Seitengestaltung aufgelockert.
Gerade die Idee, ab und an eine Seite so zu gestalten, als habe ein Gelehrter eine Pergamentseite zwischen die Regelwerkseiten geschoben, lässt eine gute Grundstimmung für die mittelalterlich gestaltete Welt aufkommen. Viele ‚in-character‘ verfasste Texte vermitteln ein vielfältiges Bild der Spielwelt und lassen einen interessierten Spieler tief eintauchen, wenn er sich auf Sprachduktus und die vermittelten Informationen richtig einlässt. 

Einziges kleines Manko sind die teilweise sehr skizzenhaft wirkenden Bleistiftzeichnungen, die zur Seitenillustration durch Textureffekte aufgewertet wurden und einige Schwierigkeiten bei Anatomie und Posen zeigen. Generell aber wird die gute gestalterische Grundidee konsequent verfolgt, besonders die Aquarell-Waffenillustrationen und die an afrikanische Stammeskunst erinnernden Illustrationen zur Entstehungsgeschichte der Welt vermitteln die Fremdartigkeit Maguns auf gelungene Weise.

Der erste Teil des Grundregelwerkes beinhaltet eine Weltenbeschreibung mit einer umfassender Welterschaffungslegende, einen Abriss der jüngeren Geschichte, Informationen über die Gesellschaft und die wichtigsten Reiche des Kontinents Monderan, dazu einen Überblick über die spielbaren Völker.
Teil Zwei stellt das Spielsystem vor und erklärt Würfelproben und Rundensystem, das Seelen-Reinheitssystem, Attribute, Bewegung und Fertigkeiten, dazu noch Sprachen und die verschiedenen Magiearten. Auch Kampfregeln, Waffenbenutzung, das Schadenssystem und das Erlernen und Verbessern von Werten finden hier Eingang. 
Teil Drei umfasst die Erschaffung von Spielercharakteren und die Völkerregeln, dazu erfährt man, wie Attribute und Fertigkeiten/Fähigkeiten verteilt werden können. Neben einer reichhaltigen Auflistung von Ritualen aller möglichen Klassen findet sich hier auch ein Überblick über Austrüstung und Diensten sowie Waren und Dienstleistungen.
Teil Vier ist dem Spielleiter gewidmet und gibt Hilfen für das Erschaffen von Gegnern, stellt typische Gegner vor und widmet sich dem Umgang mit der Geisterwelt.

Diese Aufteilung zeigt recht deutlich, woran das Grundregelwerk von »Magun« ein bisschen krankt: Die Vielzahl der Informationen zur Welt und zum Spiel sind nicht gerade übersichtlich gegliedert, wer einen Magiewirker spielen möchte, muss beispielsweise zwischen Teil Zwei und Drei ständig hin- und herblättern, was bei einer als PDF vorhandenen Ausgabe sehr mühselig ist. Glücklicherweise sind alle Links im PDF-Inhaltsverzeichnis funktional und ersparen einem das scrollen ein wenig, am Grundproblem ändert sich deswegen leider nicht viel: 
Für einen Neuspieler, der sich über eine bestimmte Spielrichtung interessiert (beispielsweise einen Barden), ist das Regelwerk damit sehr blätterintensiv angelegt und erfordert, dass man sich zunächst mehr mit dem Suchen als dem Finden beschäftigt. Gerade, wenn man die Welt noch nicht kennt und herausfinden möchte, welche Art Charakter einem liegen könnte, ist diese Notwendigkeit eher abschreckend als motivierend.

Auch für den Spielleiter, der im Zweifel kreuz und quer die verschiedenen Informationsbrocken zu Klassen, Magie und Welt zusammen suchen muss, um sie den Spielern zu erklären, stellt diese Aufteilung eine deutliche Hürde dar; angesichts des Umfanges des Regelwerkes muss man schon vertraut damit sein, um sich nicht wund zu suchen. Hier würde ich den Machern eine Überarbeitung und klarere Aufteilung empfehlen, da diese formellen Mängel durchaus beim ersten Hineinschmökern abschrecken könnten. Und das wäre angesichts der reichhaltigen, vielschichtigen und wirklich kreativ gestalteten Welt wirklich schade!

Hat man sich erstmal durch die Entstehungsgeschichte »Maguns« gelesen, warten nahezu unendliche Möglichkeiten, da es Autor Leander Aurel Taubner geschafft hat, nicht nur einen Reigen von unterschiedlichen Völkern zu erschaffen, welche sich vom üblichen Fantasyklischee Elfen-Orks-Zwerge positiv abheben, sondern auch mehrere grundlegende Konflikte in das Konstrukt der ‚Jetzt-Spielzeit‘ anzulegen, die aus der Weltgeschichte, aber auch aus dem sich darin entwickelnden Verhältnis der Völker zueinander resultieren:
Eine niedergegangene, einstmals übermächtige Zivilisation, deren verbliebene Vertreter die Reste ihres Einflusses mühsam zusammenkratzen, aufstrebende junge Völker, welche sich nicht mehr unterwerfen wollen und gemerkt haben, dass ihre zahlenmäßige Überlegenheit und ein starker Wille zu einem Erfolg führen können, skrupellose Magieanwender, welche die Grenzen des Möglichen immer weiter auszudehnen versuchen, eine gefährliche Geisterwelt, die immer wieder mit der normalen Lebenswelt kollidiert – das gibt genug Stoff für viele Spielstunden, einen kreativen Spielleiter vorausgesetzt, der sich in die Welt gut einfühlen kann.

Wer eine Abwechslung zu den üblichen, wohlbekannten Fantasyrassen sucht, wird bei »Magun« sicher glücklich werden, da es zwar Anklänge zu Elfen, Orks und Halblingen gibt, diese aber durch viele eigene Ideen und die Ausgestaltung der Völker gerade im Bezug auf ihre Lebenseinstellung und Sitten zu etwas ganz Neuem geformt wurden, welches sicher einen spielerischen Versuch wert sind. Gerade die magieaffinen Ganl'en haben es mir hier angetan, deren Fluch von ihnen ein sehr bedachtes, vorsichtiges Wirtschaften mit magischen Fähigkeiten verlangt.
Auch die drei sehr unterschiedlich gestalteten Drey'ven-Häuser zeugen von der Schaffenskraft des Autors und lassen auf mehr hoffen, das die Lebensweise der Vertreter des ältesten Volkes genauer beleuchten. Die Auswahl von archetypischen Rassen ist in jedem Fall groß genug, um sehr unterschiedliche Spielervorlieben zu bedienen und ermöglicht vielfältige Gruppen.

Gewürfelt wird in der Welt von »Magun« mit einem W20. Bei einfachen Attributsproben wird das Würfelergebnis mit dem vorhandenen Wert des Charakters verglichen, um Erfolg oder Misserfolg zu ermitteln. Die meisten Proben jedoch erfordern einen genauen Blick auf die Differenz zwischen Würfelwurf und Vergleichswert einer Fähigkeit. Grundsätzlich gilt, je niedriger man würfelt, desto besser – denn die 'übrig bleibenden' Punkte zwischen Würfelwurf und Wert können als Erfolgspunkt gesammelt werden, um die Auswirkungen einer Probe zu definieren.
Daneben kann auch mehrfach gewürfelt, der Ausgang der Probe somit „verzögert“ werden, um die positiven Auswirkungen einer Probe durch mehr gesammelte Punkte zu erhöhen – misslingt eine der freiwilligen Folgeproben jedoch, sind alle gesammelten Punkte verloren und die Handlung muss erneut durchgeführt werden, falls möglich, ebenso werden beispielsweise bei Handwerksproben verwendete Rohstoffe verbraucht.

Fertigkeiten werden durch erfolgreiche Anwendung trainiert und letztendlich über diese Übung gesteigert, das heisst, dass niemals benutzte Fertigkeiten auch entsprechend schlecht ausgebildet bleiben, wenn man sich nicht mittels Lehrmeister, Lehrbüchern oder eben Anwendung behilft. Auch Attribute lassen sich über Erfahrungspunkte steigern, erfordern aber deutlich mehr Einsatz.
Besonders gelungen empfinde ich bei »Magun« den Aspekt der Seelenreinheit, die sich ein Charakter bewahren muss. Zwar kann ein Spielerheld die in seinem Pool vorhandenen Reinheitspunkte opfern, um beispielsweise im Kampf früher in die Initiative zu kommen oder Mali bei einer Würfelprobe zu ignorieren, sind alle Reinheitspunkte jedoch auf Null gesunken, ergreift Wahnsinn den Charakter und bestimmt so lange seine Handlungen, bis die Reinheitspunkte wieder auf die Hälfte des ursprünglichen Wertes angestiegen sind. Da dieser Wahnsinn beispielsweise auch mit dem Verlust des Lebenswillens einher gehen kann, sollte man sich dessen bewusst sein, dass ein allzu verschwenderischer Umgang mit Reinheitspunkten selten eine gute Idee ist.

Schade ist, dass der vierte Teil des Buches, der sich mit Hilfen für Spielleiter beschäftigt, recht kurz ausgefallen ist – gerade bei einer so reichhaltigen Welt wie »Magun« hätte ich erwartet, dass ein entsprechend großes, detailverliebtes Kapitel mit Gegner- und Verbündeten-NPCs existieren würde, das über bloße Allgemeininformationen, wie sie in Teil zwei und drei gegeben werden, hinaus geht. Hier vermisse ich Organisationen und NPCs, die für die Spieler zu einem weltgerechten Antagonisten werden können, klares Spielleiterwissen, das einem das Erschaffen innerhalb der Lore erleichtert.
Wer als Spielleiter eine Gruppe auf den Kontinent Monderan entführen möchte, muss also einiges an Vorarbeit erledigen, gerade wenn es um die genauere Ausgestaltung von Städten oder möglichen Startregionen geht. Für unerfahrenere Spielleiter könnte das zu einer unschönen und unnötigen Hürde werden. 

Das Fehlen eines Charakterbogens im Grundregelwerk macht sich ebenso unangenehm bemerkbar - ist man daran gewöhnt, mit einem GRW alle relevanten Dinge zusammengestellt zu bekommen, muss man bei »Magun« abermals extern suchen. Hier scheint mir der Autor etwas zu sehr noch mit der Herangehensweise einer Person, der die Welt sehr vertraut ist und die sich bestimmte Anfänger- und Neulingsfragen gar nicht stellen muss, an die Grundgestaltung des Regelwerks gegangen zu sein. Mehr Augenmerk auf Useability und Hineinversetzen in den unbeleckten Erstbenutzer würden helfen, das Regelwerk als Gesamtprodukt vollends abzurunden - denn der Rest taugt in jedem Fall.

Abschließend betrachtet wirkt die Welt von »Magun« sehr rund und vielfältig, sodass Spieler wie auch Spielleiter, die abseits ausgetretener Pfade eine interessante Fantasy-/Mittelalterwelt suchen, in der ihren Helden mehr als pures Gegnerschnetzeln abverlangt wird, hier eine spannende neue Herausforderung finden können. Moralische Entscheidungen und tiefe, in der Welt verankerte Konflikte bieten viel Potential für eigene Kampagnen und Erlebnisse.
Der Autor bietet erfreulicherweise auf der »Magun«-Website noch Zusatzinhalte wie den im GRW fehlenden Charakterbogen, einen Meisterschirm und Hilfen zu Kampfabwicklung und Umgang mit magischen Waffen.

Fazit: Faszinierende, detailreich umgesetzte Fantasy-Mittelalterspielwelt mit schlankem Regelsystem und umständlich gestalteten Grundregelwerk. Empfehlenswert für alle Fans interessanter Welten. Sieben von zehn möglichen Punkten.

Buchdetails:
Titel: Magun
Autor: Leander Aurel Taubner
Illustrationen: Leander Aurel Taubner
Buch-/Verlagsdaten:: Gradgar, PDF-Version, 381 Seiten, www.magun-rpg.com

Das Rezensionsexemplar wurde vom Autor über den Würfelhelden kostenlos zur Verfügung gestellt.
Wer sich wundert, dass dieser Artikel sehr grafikarm ausgefallen ist - es war mir leider nicht möglich, über das Titelbild hinausgehende Artwork ohne Copyrighthinweis zu erlangen, sodass ich mich entschieden habe, ganz auf Grafiken zu verzichten.

Über Gloria H. Manderfeld

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