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Der perfekte Moment

Der perfekte Moment: Gejagte Jäger


Eigentlich müsste ich tot sein. Der Gedanke war wie schon in den letzten Wochen sofort präsent, als Lienas van Arden ihre Augen nach einem unruhigen, kurzen Schlummer öffnete. Noch immer war es stockfinster, die Nacht immer wieder durch Einschläge diverser Granaten oder sonstiger Schüsse für kurze Augenblicke erhellt. 
Onderon präsentierte sich nachts um kein bisschen attraktiver denn am Tage, selbst wenn man die tiefen Krater und Trümmer, welche durch die fortgesetzten Bürgerkriegsaktivitäten auf dem Planeten entstanden waren, nicht erkennen konnte. Über dem in Schatten getauchten Warb-Null-Distrikt der planetaren Hauptstadt Iziz hing seit Monaten das blutige Schwert des Todes und forderte Tag um Tag neue Opfer. Lienas streckte das rechte Bein langsam und vorsichtig aus, dann das linke. Auch wenn ihre Position in tiefen Schatten lag und sie durch den dunklen Ganzkörpertarnanzug, welcher den größten Teil ihrer Körperwärme zu absorbieren imstande war, gut getarnt lag, so konnte man nicht vorsichtig genug sein. 
Vor allem nicht, wenn man wie sie genau wusste, dass auf der anderen Seite ebenfalls geübte Scharfschützen über die ihnen anvertrauten Kämpfer wachten und nur darauf lauerten, vorwitzige Imperiale aus ihren Stiefeln zu schießen. 

Genau jene Scharfschützen aus dem Spiel zu nehmen war eine Aufgabe, die einen Könner erforderte. Und vor allem Geduld. Wenn Lienas von sich selbst und ihrer bisherigen Erfahrung ausging, so war die Zeit vor dem Schuss mindestens genau so wichtig wie der Schuss selbst. Wer nicht genug Geduld hatte, verriet sich oder handelte zu früh. Im normalen Feldeinsatz bekamen Scharfschützen Schussbefehle ihrer Vorgesetzten, hatten immer jemanden im Ohr, der ihnen einen Halt oder Sicherheit durch sein pures Vorhandensein gab.
In Fällen wie diesen jedoch brauchte es einen Jäger, der lange Zeit ohne eine solche Krücke zu gehen imstande war, der sich auf sich selbst verließ und auch nach Tagen noch nicht zu zweifeln begann. Ein Schlachtplan starb doch stets dann, wenn er den ersten Kontakt mit dem Feind hinter sich hatte. 
Dieser, ihr über viele Tage und mit vielen kleinen, auch über Umwegen beschafften Detailinformationen ausgeheckte Schlachtplan, hatte bisher mit fünf Feinden Kontakt gehabt und überlebt. Die Feinde nicht, aber dies war der Preis einer sauberen, verschwiegenen Infiltration. Die Tode mussten so aussehen, als wären sie simple Opfer des Kampfes auf Onderon, durften nicht zu sauber sein oder überlegene Technik verraten. 

Nicht zuletzt, weil Lienas sich wie alle anderen hochrangigen Militärs auf dem Planeten sicher war, dass die Republik den vorgeblichen Freiheitskampf der antiimperialen Fraktion insgeheim unterstützte und die entsprechenden Fähigkeiten entweder auslieh oder vermittelt hatte, mit denen man das Schlachtfeld einzuschätzen imstande war.
Während die Galaxis unter der Knute des Ewigen Imperiums gestöhnt hatte, war die alte Fehde zwischen dem Sith-Imperium und der Republik zwar erlahmt, aber nicht ausgelöscht worden. Daran hatte auch der letzte, verheerende Angriff der Ewigen Flotte und ihrer marodierenden, führerlosen Droiden nichts geändert, welcher einen hohen Blutzoll auf den wichtigsten Welten beider Seiten gefordert hatte. Noch immer standen die Schrecken jenes Kampfes zu deutlich im Gedächtnis der Offizierin. 

Es war eines, gegen Feinde anzugehen, die wie sie selbst sterblich waren und ab einem bestimmten Punkt begannen, um ihr Leben zu fürchten - oder aber es opferten, um ein größeres Ziel zu erreichen. Doch wildgewordene, rachsüchtige Maschinen, deren einziger Zweck schien, möglichst viele Lebende umzubringen, ohne dass sich dadurch ein strategischer Sinn ergab, waren etwas vollkommen anderes. 
Seit diesem Kampf, bei dem die Droiden auch in die Kaserne des Kampfverbandes eingedrungen waren und dort ihre blutige Ernte gehalten hatten, ertrug Lienas die Nähe von Droiden aller Art nur noch zähneknirschend. Jetzt im Einsatz, wo vieles durch Handarbeit erledigt werden musste, weil die Ressourcen nicht ausreichten, um Routinetätigkeiten durch Droiden durchführen zu lassen, konnte man das noch umgehen. Wenn sie nach Kaas zurückkehrten, würde es anders sein.
Die Erinnerung daran, wie die Offiziere versuchen mussten, nur in Uniform und mit den Waffen, welche in ihren Büros lagerten, ihre mechanischen Angreifer zu Boden zu bringen, war für Lienas van Arden noch immer etwas, über das sie nicht sprach und auch nicht sprechen wollte. Jedes Knacken in einem kriegszerstörten Gebäude brachte das Gefühl zurück, mit dem die Knochen ihrer Unterarme gebrochen waren, als der Droide auf sie losgestürmt war, um sie einfach umzurennen.

Lienas blinzelte und behielt den Blick auf die elfte Etage des zerbombten Hochhauses aufrecht. Dies war der wahrscheinlichste Sniperspot, welchen sie aus den bisher erhaltenen Informationen und Drohnenüberflugsdaten hatte rekonstruieren können. Sicher, die durch den Taktikcomputer errechneten Wahrscheinlichkeiten hatten einen anderen Punkt ergeben, bei dem einer der feindlichen Scharfschützen zu finden sein sollte. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass der von ihr gewählte Punkt der richtige war. Wenn sie sich irrte, war die tagelange Vorbereitung sinnlos. Und der Scharfschütze, den sie sich als Ziel ausgewählt hatte, hatte vier weitere Tage mindestens Zeit, seine Ziele zu erreichen. Er war ein Künstler, jeder Schuss war bisher ein Treffer gewesen, sauber gesetzt, nie ein falscher Winkel. 
So grausam seine Arbeit auch sein mochte, Lienas musste sein Können anerkennen. Ein solches Können erreichte niemand, der nicht warten konnte oder der sich nicht genauestens vorbereitete. Eigentlich verrückt, dass sie versuchte, ihm auf seinem eigenen Gebiet aufzulauern und ihn zu Boden zu bringen, denn alle Vorteile lagen bei ihm. Insgeheim hatte sie ihn Blackbird getauft, weil er seine Schüsse mit einer eleganten Leichtigkeit setzte, welche sie an den Flug einer auf Dromund Kaas heimischen Vogelart erinnerte. Vielleicht war Blackbird auch eine Frau, aber es fiel Lienas immer viel leichter, sich einen Gegner als Mann vorzustellen, den es auszuschalten gab.

Blackbird schoss immer nur einmal, und wenn er sein Ziel erledigt hatte, tauchte er ab. Die Leute aus der proimperialen Miliz, die seine Angriffe überlebt hatten, hatten alle dasselbe ausgesagt: Jedes Mal war der Kopf der Gruppe ausgewählt worden, der Befehlshaber, egal, wie gleichartig sich alle Mitglieder angezogen und ausgerüstet hatten. Entweder besaß Blackbird Einblick in die Mitgliederlisten der Miliz und konnte die Gesichter trotz Vermummung und unterschiedlicher Ausrüstung erkennen, oder aber er besaß genug Intuition, um aus Gruppen von Unbekannten zielsicher die tonangebende Person herauszufinden. Das machte aus Blackbird nicht nur eine tödliche Gefahr für jede anstehende militärische Aktion, sondern auch zu einem Ziel Nummer Eins. Einen solchen Scharfschützen erwischte man nicht mit computergenerierten Wahrscheinlichkeiten, sondern mit Gefühl.
Genau deswegen lag Lienas van Arden mit ihrem in vielen Einsätzen erprobten Gewehr auf der Lauer und blinzelte zur Not den Schmerz einer über Stunden gleichbleibenden Liegeposition so gut sie konnte weg. Sich zu bewegen wagte sie nicht. Wenn Blackbird die Person war, die sie vermutete, würde er auf solches ebenso akribisch achten wie sie selbst. Vielleicht hatte sie sich auch geirrt. Vielleicht waren ihre Gedanken in die falsche Richtung gedriftet, vielleicht interpretierte sie zuviel. Egal, wie viel Erfahrung man haben mochte, man konnte immer Fehler machen. War sie zu vorwitzig gewesen? Hatte sie zu viel auf einmal gewollt?

Die Stunden zogen sich schlimmer als die Inhaltsstoffe des standardimperialen Energieriegels, welcher derzeit das wenig beliebte Mittag- und Abendessen der Soldaten darstellte. Wie viel Licht musste man im Inneren besitzen, um die allgegenwärtige, stille Dunkelheit einer solchen durchwachten Nacht ertragen zu können? Oder wieviel Sturheit, wenn man kein Licht in sich trug und einen nur ein eiserner Willen aufrecht halten kann? In solchen Stunden gab es kein Lächeln, keine Umarmung, keine freundschaftlichen Gespräche. Sie ließ all das hinter sich, wenn sie aufbrach, um einen Feind zu jagen, musste es hinter sich lassen, um all ihre Gedanken auf diese unbekannte Person zu richten, die ihr Ziel geworden war. 
Vermutlich war die einzige Person, die dieses Aus-Sich-Heraustreten wirklich verstand, Mhae Talvar - bald wieder Hawkins, wie es schien. Die Ärztin, welche über die vielen Jahre hinweg Lienas' Freundin geworden war, kannte diese Stunden, in denen die eigene Persönlichkeit weit hinter die Professionalität zurücktrat und erst dann wieder zurückkehren durfte, wenn die Arbeit getan war. Manchmal wünschte sie, sie könnte diesen Teil ihres selbst mit den anderen irgendwie vereinen, ein Gesamtbild bilden, wie es so vielen anderen gelang. 

Der Morgen begann zu dämmern und erinnerte Lienas daran, dass eine weitere Nacht vertan worden war. Bald würde sie ihre Position ändern müssen, um durch ihre dunkle Kleidung nicht zu leicht vor dem Hintergrund des von Trümmern angefüllten Daches erkennbar zu werden. War ihr Instinkt über die Jahre am Schreibtisch schwächer geworden? Man durfte sich einer Sache sicher sein, aber nie zu sicher, denn auch zu großes Selbstvertrauen führte zu unvermeidlichen Fehlern. Hier, im Grenzgebiet zwischen dem stark umkämpften Parkareal und dem von den proimperialen Milizen und dem imperialen Militär kontrollierten Bereich, war alles möglich. 
Bisher hatte Lienas Blackbirds Handschrift immer in diesem Gebiet erkannt, dem gefährlichsten von allen. Das Risiko für eine Entdeckung eines Scharfschützen war groß, aber ebenso die möglichen Gewinne, wenn man den Gegner dadurch demoralisierte, dass man stets seine Führungsleute erwischte. Wäre sie darauf aus, die proimperialen onderonischen Milizen und das imperiale Militär auseinander zu bringen, würde sie sich ihre Patrouillen als erstes Ziel auswählen. Der Grund, warum sie in genau diesem Haus lauerte, mit dem Blick auf das Grenzgebiet und das Zwielicht zwischen Trümmern und den Hausruinen, deren verbliebene Reste sich wie verzweifelt gerechte Finger gen Himmel richteten. 

Die erste Morgenpatrouille tauchte schließlich wie vorsichtig über den Schutt krabbelnde Insekten aus der Dunkelheit auf. Die Milizionäre waren vorsichtig und hielten sich so weit wie möglich in Deckung, nutzten jeden Schatten, der sich ihnen bot. Von ihrer Position aus wäre es Lienas schwer gefallen, einen perfekten Schuss abzusetzen, Blackbirds vermutete Position jedoch bot mehr Freiheiten. Es war die beste Position für einen Angriff auf die erste Patrouille des Tages. Sie schaltete die Restlichtverstärkung ihres HUDs ein, eine Maßnahme, auf welche sie zumeist verzichtete, da ihre Augen in diesem Lichtbereicht ausreichend sehen konnten. Doch bei Blackbird durfte sie kein Risiko eingehen, musste jeden der wenigen Vorteile nutzen, welche sie bekommen konnte. Sie presste ihre Lippen aufeinander und wartete. Die Milizionäre kletterten über ein größeres Trümmerstück und tauchten in einen Krater ab, den eine Bombe in den Vorgarten und die ersten beiden Stockwerke eines Wohnhauses gerissen hatten. 
Früher vermutlich überteuerte Wohnlage mit Parkblick, heute nur noch lebensgefährlich, dachte Lienas und blinzelte überrascht, als sich aus dem Inneren des Gebäudes in ihrem Blickfeld in gemütlicher Langsamkeit der Lauf eines Gewehrs heraus schob. Mattiertes Metall, das auch bei einem Lichteinfall nicht aufblitzen würde, staubgrau mit Flecken bemalt. Wer nicht wusste, was zu erwarten war, würde diese Waffe niemals entdecken. Mit einem Mal schnellte ihr Herzschlag in die Höhe, doch bezähmte sie ihn sofort mit den tiefen, lautlosen Atemzügen, um sich auf ihren Schuss vorzubereiten. Er war wirklich hier. Blackbird hatte so gehandelt, wie sie gehandelt hätte. 

Gute Taktik oder Glück? Oder einfach nur eine Verbundenheit zwischen zwei vollkommen Fremden, welche dieselben Schritte an denselben Ort geführt hatten? Konnte sie riskieren, dass er auf die Milizionäre schoss oder sollte sie versuchen, ihren Schuss vorher zu setzen? Ein weiterer toter Anführer der Miliz, wenn Blackbird traf. Aber einige weitere Sekunden für sie, um sich genug Sicherheit über seine Position zu verschaffen.
Wer auch immer Du bist: Es geht nicht anders. Ein weiterer Milizanführer für viele andere, die damit sicherer sein würden. Dieser Preis war hoch, aber nicht zu hoch. Später wäre genug Zeit für Bedauern, denn dass Blackbird sein Ziel nicht verfehlen würde, dessen war sich Lienas sicher.  Der Lauf seines Gewehrs lag sicher auf dem Untergrund auf, er hatte sich noch ein Stück weit nach vorn geschoben. In den Schatten war der Körper Blackbirds nur schemenhaft zu erahnen, doch das wenige Licht, welches in das Gebäude viel, reichte für einen Umriss. 
Lienas wusste, wo sein Kopf lag, und nur das musste sie wissen. Sie würde keinen weiteren Versuch bekommen. Langsam legte sie ihren Zeigefinger an den Abzug ihrer Waffe. Wenn Blackbird ein gut ausgebildeter Scharfschütze war, würde er seine Haltung einige Sekunden lang nicht verändern, um sicher zu gehen, dass sein Schuss saß, falls ein weiterer notwendig sein sollte. 

Mit dem leisen Fauchen aller Blastergewehre schickte Blackbirds Waffe einen rötlichen Bolzen auf die Reise. Ein Atemzug, ein Herzschlag, ein gekrümmter Finger. Bis zu Lienas' Position gellten die Rufe, als einer der Milizionäre zusammenbrach und seine Kameraden auf den Schuss reagierten, doch in diese Rufe mischte sich ein zweites Fauchen. Sie konnte das Gesicht des feindlichen Scharfschützen nicht sehen, als ihr Bolzen sich in jenes hinein bohrte, aber die Art, wie sein Gewehrlauf nach oben kippte, die Waffe dann zur Seite sackte und der Schatten liegen blieb, verrieten, dass sie getroffen hatte. 
Mann am Boden, dachte sie und wartete fünf endlose Sekunden, bis sie einen weiteren Bolzen losschicken konnte. Es war gefährlich, lebensgefährlich für sie, aber es musste sein. Blackbird musste tot sein, und nur ein Nachschuss ins Zwielicht gab ihr genug Sicherheit. Pfeifend schoss aus einer anderen Richtung ein grellblauer Bolzen an ihrem Kopf vorbei und schlug in den bröckeligen Putz hinter ihr ein, dann folgte ein zweiter. Heiß brennend streifte ein Finger über ihren rechten Oberarm, als sie ihre Waffe griff und sich noch tiefer in die Schatten duckte. Zeit, heimzukehren. Und wieder war sie nicht gestorben, auch wenn ihr Arm schon nach wenigen Augenblicken wie Feuer brannte.
Eigentlich müsste ich tot sein, dachte sie und rutschte unelegant zwischen die Trümmer zurück, um sich schließlich durch ein Loch im Boden des Gebäudes nach unten abzusetzen. Dann verschluckten die Schatten die Gestalt der Offizierin und nahmen sie wie stets dankbar auf.

Über Gloria H. Manderfeld

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