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Persönliches

Hausrenovierung ist wie Bücherschreiben


Ein paar von euch haben sicherlich schon mitbekommen, dass die Artikelfrequenz im Blog seit einigen wochen nachlässt. Das ist nicht etwa mangelnder Lust geschuldet, sondern schlicht der Tatsache, dass sehr viel meiner Energie und auch der kreativen Ideen im Augenblick wonanders stecken - nämlich in einem Haus, das in den 1980ern gebaut wurde und jetzt durch meinen Kerl und mich renoviert wird.
Wir haben es vor einigen Monaten gekauft und sind praktisch seit der Schlüsselübergabe dran, aus dem "Schick" von vor vierzig Jahren ein für unseren Geschmack schickes Zuhause zu gestalten. Ohne Handwerker, wenn man sie nicht dringend braucht (und derzeit auch gar nicht mit freien Kapazitäten bekommt), sondern in Eigenregie mit Pinsel, Bohrhammer, Schleifmaschine und was man sonst noch so alles benötigt. 

Je mehr ich mich in die einzelnen Gewerke vertieft habe, desto mehr sind mir die Parallelen zum Schreiben aufgefallen. Gerade die Leute, welche schon mal beim NaNoWriMo* mitgemacht und gewonnen haben, dürften den Gedanken nachvollziehen können: man hat ein Projekt vor sich, einen ganzen Berg Arbeit, aber nur begrenzte Zeit und natürlich eine begrenzte Menge an Arbeitskraft, denn das alltägliche Leben mit Job und Haushalt und irgendwie Kraft tanken gehört ja auch noch mit dazu und will nicht vernachlässigt werden.
Wenn man jeden Tag eine bestimmte Menge an Wörtern abliefern muss, um in absehbarer Zeit fertig zu werden, vielleicht sogar, weil ein Abgabetermin wartet, braucht man auch als Autor ziemlich starke Nerven und darf nicht vor dem ersten Satz schon aufgeben. Auch wenn der Berg, der sich vor einem auftürmt, riesig ist.

Ohne einen guten Plan geht gar nix, und genau den hatten wir uns für die Renovierung zurechtgelegt. Auf dem Papier sah das Ganze noch recht machbar aus, viele kleine Schritte den Berg hinauf, aber wie das immer ist: die wenigsten Schlachtpläne überleben den ersten Feindkontakt. Solange es nur darum ging, die Tapeten von diversen Wänden zu entfernen, kamen wir noch gut voran.
Aber spätestens in der mit Originalausstattung versehenen Küche wurde das Ganze richtig schweißtreibend und frustrierend, da wir auch den Siff von gut vierzig Jahren vorfanden und es durchaus Momente gab, in denen der Brechreiz wegen des üblen Gestanks die Motivation bei weitem überwog. Ganz zu schweigen davon, dass ein eingebauter Heizofen auch noch zerlegt und entfernt werden wollte, Ascheberg und zerbröselte Schamottsteine inclusive.

Beim Schreiben geht es mir ähnlich: ich habe einen Plan, ich weiß, wo ich am Ende hin will, habe mir Handlung und Konflikte überlegt, um die Story abwechslungsreich zu gestalten. Dann kommen die ersten Seiten, die zu Kapiteln werden und die anfängliche Hurra-Euphorie der Marke 'juhuu, ich komme gut voran' versickert im zähen Sumpf der Erkenntnis, dass manche Dinge sich anders entwickeln als geplant. 
Eine Szene, die ich mir gut vorgestellt habe, erweist sich plötzlich als absolut unschreibbar, die Charaktere entwickeln ein Eigenleben und beim neuerlichen Durchlesen kommt mir alles vor wie die größte Katastrophe, die ich je zu Papier (zu Datei!) gebracht habe. 

Das sind diese Momente, in denen ich am liebsten alles hinwerfen und schreien würde, nur um mich danach ein bisschen besser zu fühlen. Geschrien hat mein Kerl auch, nachdem wir entdeckt haben, dass irgendein genialer Handwerker den PVC-Boden der Küche anscheinend auf den Estrich betoniert hatte und sich das Ganze noch nichtmal mit einem Spezialgerät lösen ließ. Da half nur Bohrhammer mit Meißelaufsatz bestücken und den ganzen Scheiß rausmeißeln, sich durch diese anstrengende, bescheuerte Sache einfach durchbeißen.

In jedem Buch bisher gab es diese Stellen, durch die ich mich durchbeißen musste. Bei Dialogen beispielsweise schreibe ich immer mit dem Gefühl im Hinterkopf, dass es noch nie ein belangloseres Gespräch gegeben haben mag als das gerade getippte. Liebesszenen kommen mir grundsätzlich zu schwülstig vor, erotische Szenen zu gewollt und bei actionreichen Kämpfen hadere ich mit mir, dass ich das alles viel zu plump und hakelig zusammenpansche.
Im Grunde sind das Momente, in denen ich gegen die Angst anschreibe, ich könnte es vielleicht nicht hinbekommen und am Ende ein Buch vor mir liegen haben, das meinen Ansprüchen an die geleistete Arbeit nicht entspricht. Wenn ich solche Texte mit dem Abstand einiger Tage erneut lese, stelle ich meistens fest, dass mein Eindruck des Scheiterns absolut falsch war und ich mir einfach zu viele Gedanken gemacht habe.

Auch beim Renovieren darf man nicht zu sehr darüber nachdenken, wie das Endergebnis wohl aussieht, man muss einfach irgendwo anfangen und dann das Ganze durchziehen. Vor diesem Haus hatte ich noch nie mit Streichputz gearbeitet. Ein paar Youtube-Videos später hatte ich einen Eindruck, wie man das Zeug verarbeitet und der Rest war Learning by Doing.
Inzwischen bin ich stolz darauf, dass das Ganze wirklich gut aussieht, und so schwer war es letztendlich auch nicht - nur den dabei entstandenen Dreck, den muss ich natürlich noch von den Böden entfernen, denn das Zeug matscht ziemlich. Der entscheidende Punkt ist: es einfach auszuprobieren, hat letztendlich geklappt.

Man bleibt an der Sache dran, egal ob einem die für den Tag geplanten zweitausend Worte oder das Verputzen der Wände eines Raumes schwer fallen. Und am nächsten Tag macht man einfach weiter, ran an das nächste Gewerk, an den nächsten Satz, das nächste Kapitel. 
Dass man das Ende erstmal eine lange Zeit nicht sieht, muss man ertragen lernen. Meine Durchhängestrecke beim Schreiben liegt bei einem 50.000-Worte-Buch meistens irgendwo zwischendrin. Meist ab 25.000 Worten, wenn schon so viel geschrieben ist, dass ich das Buch nicht mehr mit gutem Gewissen als Experiment irgendwo einstampfen kann, ich aber genau weiß, dass ich nochmal genau so viel Text mindestens brauche, um die Erzählung zu einem sinnvollen und runden Ende zu führen. 

Erst bei den letzten 5000 Worten ereilt mich die Wehmut einer Welt, die ich schon bald verlassen werde, um mich wieder ins eiskalte Becken neuer Projekte zu stürzen. Nach insgesamt 13 abzuschleifenden und Schritt für Schritt neu lackierten Zimmer- und Schranktüren ist das Ende nun auch langsam abzusehen, da nur noch drei Zimmertürrückseiten warten. 
Die schöne Routine, jeden Baustellentag mit dem Lackpinsel und der Lackrolle zu beginnen, wird schon bald vorüber sein, dann warten andere Arbeiten - seltsam, dass ich diese eigentlich ungeliebte, geduld- und langsamkeitsfordernde Arbeit dennoch vage vermissen werde.

Es hatte etwas Meditatives, zutiefst Befriedigendes, die alte dunkelbraune und hässliche Türfarbe unter makellosem Weiß zu verstecken, aus etwas Scheußlichem immer wieder etwas Schöneres zu machen, um der endgültigen Vision näher zu rücken. 
Genau so breite ich eine Landschaft aus Worten in einer unbekannten Welt aus, verschönere die Leere zu etwas, das einzigartig ist, um zu hoffen, dass andere anhand meiner Worte ihr eigenes Bild in ihren Köpfen aufbauen und es genießen können. Wie viel Schweiß und Herzblut in solchen Bildern oder auch nur einer weißen Farbfläche stecken, ist im Moment der Betrachtung schließlich nicht mehr entscheidend, sondern alleine die Wirkung.

Irgendwann beginnt einen eine Geschichte zu verfolgen. Die Figuren beleben den Alltag, ich denke dann nicht mehr nur wie ich selbst, sondern überlege mir, wie meine Heldin oder mein Held auf eine bestimmte Situation, die mir wiederfährt, reagieren würden. Ich stehe mit meinen Figuren auf, leide und lache mit ihnen, bis ich abends wieder ins Bett falle und Überlegungen zum Fortschreiten der Erzählung in meinem Hinterkopf kreisen und irgendwann der Schlaf kommt.
Zu dieser Zeit bin ich am meisten 'drin' in der Story, aber alles andere leidet zwangsläufig. Die Wäsche türmt sich auf, die Böden warten darauf, gewischt zu werden, und ich koche vor allem deswegen, weil man schließlich essen muss. Mein Kopf aber ist bei sowas meist woanders.

Beim Renovieren habe ich ähnliches erlebt: ich sehe das Haus dreidimensional vor mir, alles fertige, aber auch alle unvollendeten Ecken. An Tagen, an denen ich nicht auf der Baustelle bin, denke ich darüber nach, was man noch erledigen muss, wie ich bestimmte Dinge am Besten hinbekomme, und welche Ideen ich noch umsetzen kann, ohne allzu viel Geld und Zeit zu verbrauchen. Ich sehe auch das fertige Endprodukt vor mir, nicht den jetztigen schlimmen Zustand.
Aufgemeißelter, wüst aussehender Estrich in der Küche? Wände mit insgesamt sechs Tapetenschichten, die noch abgetragen werden müssen? Decken, die noch darauf warten, dass die hässliche kackbraune Holzverschalung neuer Farbe weicht? In meinem Kopf ist da eine Küche mit mintgrünen Möbeln, weißen Wänden, einer einladenden Essecke und dunkelgrauem Fliesenboden, herrlich angestrahlt von passender Beleuchtung. Nur noch ein paar Arbeitstage ...

Man darf nicht hektisch werden, man darf nicht nachlassen und vor allem darf man der Befürchtung, es könnte alles nicht funktionieren, nie nachgeben. Wenn ein Weg zum Ziel nicht klappt, sucht man sich einen anderen. Wenn irgendwas so richtig nervt, lässt man es am besten mal ein zwei Tage liegen und schaut es dann mit frischem Kopf wieder an, damit aus einem Teilprojekt was wird. 
Das sind die Grundregeln, die bei mir für sowohl das Schreiben als auch das Renovieren gelten und schon oft dafür gesorgt haben, dass mal ein Kapitel im digitalen Mülleimer gelandet ist. Oder ich mit der Schleifmaschine Farbnasen von einer Türrückseite entfernt habe, damit sie das Streichen dieser Türseite nicht verderben.

Irgendwann hat man es glücklicherweise dann doch geschafft, und das kleine Wörtchen 'Ende' wartet wie eine echte Verheißung auf nicht enden wollende Seligkeit. Ein tiefes, zufriedenes Durchatmen, das man sich mit einigen Wochen, Monaten harter Arbeit, Arschochkriegen-trotz-schmerzender-Muskeln, Disziplin und Ranklotzen verdient hat. Na ja, zumindest bis zum nächsten anstehenden Buchprojekt.
Ein weiteres Haus will ich jedenfalls so schnell nicht renovieren müssen...

*NaNoWriMo = National Novel Writing Month: jedes Jahr im November folgen Autoren der selbstgestellten Challenge, innerhalb eines Monats einen Roman mit 50.000 Wörtern zu verfassen. Wer diese Menge schafft, darf sich zu den Gewinnern zählen.

Über Gloria H. Manderfeld

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