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Rezension: Die Bürde des Blutes


Nach der Finanzkrise im Jahr 2009 hat sich die Welt verändert – die Staaten der Welt stehen inzwischen, mehrere Jahre später, am Rande des Bankrotts und die Wirtschaft kann nur durch ein transnationales Konsortium am Leben gehalten werden, das schlicht 'Die Bank' genannt wird. Viele Familien gehen pleite, unter den Menschen herrscht eine grundsätzliche Existenzangst, die für viele die Zukunft nicht mehr lebenswert aussehen lässt. In dieser Dystopie allgemeiner Depression muss sich Detective Inspector Cass Jones mit verschiedenen Verbrechen herumschlagen, die mehr als nur ein Rätsel aufgeben: zwei Schuljungen wurden auf der Straße in einem Kugelhagel brutal ermordet, und ein Serienkiller treibt in London sein Unwesen, der auf den Leichen seiner Opfer makellose Fliegeneier und die in Blut geschriebene Botschaft 'Nichts ist heilig' hinterlässt.

Während Cass mit seinem Ermittlerteam noch den Spuren in den vorhandenen Morden hinterher jagt, trifft ihn eine unerwartete Nachricht tief: Sein jüngerer Bruder Christian soll zuerst seinen Sohn und seine Frau erschossen und dann Selbstmord begangen haben – zudem hatte Christian kurz vor dem Selbstmord versucht, Cass wegen einer wichtigen Angelegenheit zu erreichen. Und schon bald werden Spuren entdeckt, die den Inspector als den wahrscheinlichsten Täter eines vorgetäuschten Selbstmordes erscheinen lassen…

Wer das Leben der Hauptfigur Cass Jones betrachtet, dürfte sich fast wie im Film Noir vorkommen – er führt eine ausgesprochen komplizierte Ehe mit einer Frau, die er noch abgöttisch liebt, aber mit der er außerhalb des Ehebetts nicht mehr kommunizieren kann, er nimmt wie alle anderen Polizisten auch Schmiergelder in Anspruch, geht seiner Frau immer mal wieder fremd, verbringt ab und an einen Abend mit mehreren Lines Koks und noch mehr Alkohol und versucht, über seine Vergangenheit hinweg zu kommen. 
Seit einem Untercover-Einsatz zehn Jahre vor der Jetztzeit plagen ihn immense Schuldgefühle und haben ihn auf Abstand zu seinen Mitmenschen gehen lassen, er taumelt im Grunde in seinem Leben von Moment zu Moment, ohne ein wirkliches Ziel zu haben. Erst als ihn der vorgebliche Selbstmord seines Bruders zwingt, sich seiner Vergangenheit zu stellen, gewinnt auch der Leser mehr und mehr Einblicke und Verständnis für diesen vielschichtigen Polizisten.

Immer wieder wird die auf Cass Jones konzentrierte Haupthandlung durch Erinnerungen und die Handlungsebene des „Fliegenmanns“ unterbrochen, in welcher man die Vorgeschichte der Morde miterleben kann und nach und nach erfährt, auf welche Weise der Mörder seine Opfer wählt und einen gewissen Einblick in seine Gedankenwelt gestattet. Im Fortschreiten der Haupthandlung verdichten sich die zu Beginn der Erzählung sehr lose wirkenden Enden und führen zu einer nachvollziehbaren, wenngleich eher phantastischen denn realistischen Lösung des Kriminalanteils.
Auch der Nebenhandlungsstrang um die Ermordung der Schuljungen wird passend und für die entworfene Dystopie teilweise schon sehr bitter aufgelöst. In der Detailgestaltung erweist sich dramaturgisches Talent der Autorin (beispielsweise die Beschreibung des Alltags von Tierasylangestellten) und lässt die mögliche Zukunftaussicht erschreckend realistisch wirken, gerade auch das beschriebene Polizeisystem wirkt nachvollziehbar und bietet genug Raum, um die Auswirkungen der Krise auf die einzelnen Handelnden glaubhaft zu beschreiben.

Einige logische Brüche lassen den Leser zwar stocken – beispielsweise die Frage, wieso es Cass' Kollegen nicht auffällt, dass sich sein Allgemeinzustand nicht unbedingt nur auf Schlafmangel, sondern auf massiven Drogenmissbrauch zurückführen lässt – aber nicht zu deutlich zucken. Problematischer sind hier eher die vielen Gedankensprünge gerade zu Beginn bis etwa Mitte der Erzählung, da sie sich auf im Dunklen liegende Ereignisse beziehen, die dem Leser erst sehr spät offenbart werden. 
Dieses Rätselraten im Hintergrund schürt eine gewisse Ungeduld auf die Hintergrundgeschichte des Haupthandelnden, auch teilweise sehr lange Textpassagen, in denen sich die Gedankenwelt von Cass' Jones in epischer Breite entfaltet, macht das Lesetempo eher mühsam. Glücklicherweise zieht das Tempo zum Showdown an, sodass diese Mängel im Gesamtüberblick weniger ins Gewicht fallen.

Da 'Die Bürde des Blutes' der erste Teil einer Trilogie ist, muss natürlich einiges zum Ende hin offen bleiben, doch hat die Autorin hier einen geschickten Mittelweg gewählt – die eher mysteriösen Erkenntnisse werden nicht aufgelöst, die Mordermittlungen aber sehr wohl, sodass man sich auch mit dem Lesen dieses einen Buches zufrieden geben könnte, wollte man es, ohne allzu sehr in der Luft zu hängen.
Neben dem sehr detailliert ausgearbeiteten Protagonisten erscheinen auch die Nebenfiguren als tiefgründig und durchdacht, sie verfolgen eigene Ziele und werden durch Motive gesteuert, die lange Zeit im Dunklen bleiben, was den Überraschungseffekt bei der Aufdeckung deutlich vergrößert. So bleibt die Erzählung unvorhersehbar und unterhält auch dann noch, wenn man sich die phantastisch-mystische Komponente aus der Geschichte wegdenken würde.

Fazit:
Nach einem etwas mühsamen Einstieg entwickelt sich eine tiefgründige und psychologisch interessante Kriminalgeschichte, die den Leser tief in die Gedanken- und Gefühlswelt der Hauptfigur abtauchen lässt. Wer mystische Thriller schätzt, wird hier gut unterhalten, wer eine interessante Kriminalstory mag, findet hier sowohl einen charaktervollen Ermittler wie auch abwechslungsreiche Fälle. Sieben von zehn Punkten.

Buchdetails:
Titel: Die Bürde des Blutes
Originaltitel: A Matter of Blood
Autor: Sarah Pinborough
Übersetzer: Catrin Fischer
Buch/Verlagsdaten: Otherworld Verlag, Januar 2011, 479 Seiten broschiert, ISBN-13: 978-3800095353

Über Gloria H. Manderfeld

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