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Rezension: NERVE


Bist Du ein Watcher oder ein Player? Diese Frage müssen sich alle gefallen lassen, welche sich für das neuartige Cyber-Onlinespiel NERVE interessieren. Ein Player erhält von der Nerve-Community bestimmte Aufgaben, eine sogenannte ‚Challenge‘ gestellt, für die er mit realem Geld belohnt wird, wenn er sie schafft und dabei auf dem eigenen, zum Spiel angemeldeten Handy gefilmt wird. Ziel des Spiels ist es, als Player in das hochdotierte Finale zu gelangen, wofür man sich anhand der Menge der Watcher qualifiziert – und die Watcher sind darauf aus, Player bei möglichst spannenden Challenges zu beobachten. 
Die junge Venus Delmonico, kurz Vee genannt, erfährt zum ersten Mal von diesem neuen Gaming-Trend, als ihr ihre extrovertierte, risikofreudige Freundin Sidney davon berichtet und sich positiv über das Geld äußert, das sie damit verdient.

Für die aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammende Vee, welche von einer College-Ausbildung träumt, klingt das Ganze recht verlockend, aber auch gefährlich. Erst nach einem Streit mit Sydney, die sich an Vees Schwarm herangeworfen hat, überwindet sich die schüchterne Vee und meldet sich als Player bei NERVE an.  
Schon ihre erste Aufgabe stellt sie vor eine echte Herausforderung: Sie muss einen völlig Unbekannten küssen, den sie in einem Diner finden kann. Vees Wahl fällt auf den attraktiven Ian, da er ihr Lieblingsbuch ‚To The Lighthouse‘ von Virginia Woolf liest. Doch auch Ian ist ein Player und das Buch war seine Challenge – und schon sind die beiden mitten in einem Sog aus Abenteuern, die zunächst harmlos beginnen, um recht schnell lebensgefährlich zu werden …

Wer sich viel in sozialen Medien aufhält oder gar selbst einen Youtube-Kanal, einen Instagram-Account oder vergleichbares betreibt, weiß um die Notwendigkeit, Follower zu akquirieren und von den gebotenen Inhalten zu begeistern. NERVE bringt diese Suche nach Zuschauern und Fans auf ein ganz neues Level: denn hier entscheiden die Watcher, was der Player zu tun hat, und was lockerleicht und witzig beginnt, wandelt sich während der fortlaufenden Erzählung schnell zu einem rasant heranbrandenden Alptraum.
Das muss gerade die rotzfreche, aber eigentlich unsichere Sydney feststellen: als Vee droht, ihr den Rang abzulaufen, bittet sie ihre Watcher um eine schwierige Challenge und kommt, als sie ihre größte Angst nicht überwinden kann, fast ums Leben. Wer einmal eine Challenge nicht schafft, hat NERVE verloren und verliert auch alle bisherigen Gewinne – kein Wunder also, dass gerade Leute, die das Geld dringend brauchen, sich auf heikle Herausforderungen einlassen.

Die Heldin Vee wird zunächst in einem langsamen, bedächtigen Tempo eingeführt, man erfährt einiges über ihre zurückhaltende Art, ihre kreative Begabung und ihr soziales Umfeld, in dem sie sich eigentlich wohlfühlen könnte, wäre da nicht der Geldmangel, welcher ihr eine gute Ausbildung deutlich erschwert, und die ständige unterschwellige Konkurrenz mit ihrer Freundin Sydney. Diese Mädchenfreundschaft scheint nur zu funktionieren, solange Sydney die überlegenere, coolere Rolle einnimmt.
Sobald jedoch Vee Sydney auf deren Gebiet rasanter Action und eingegangener Risiken Konkurrenz macht, zeigt sich schnell, auf welchen wackeligen Füßen diese Symbiose steht. Vees schneller Aufstieg in der Gunst der Watcher wird mit grellen, glitzernden Bildern untermalt, die einen extremen Kontrast zu ihrem bisherigen Leben bilden und ihre Bereitschaft erklären, sich auf Sachen einzulassen, die sie zuvor niemals gemacht hat. Doch auch das Spiel NERVE offenbart schnell eine düstere Dimension, als Ian eine lebensgefährliche Challenge gestellt wird, bei der er ohne Vees Hilfe nicht gewinnen kann – und sie sich abermals darauf einlässt, weil ihr Ian inzwischen sympathisch geworden ist.


Der krasse Abstieg von eben noch hochgejubelter Watcher-Heldin hin zur vom Spiel gefangen genommener Playerin, deren Familie und schließlich direkt ihr Leben bedroht wird, erfolgt so unvermittelt, dass einen der Storytwist unweigerlich in Atem hält: denn ab diesem Moment wird klar, wie sehr NERVE die Player schon von Anfang an zu Gejagten gemacht hat, ohne dass sie es ahnten – der Anreiz, immer mehr Geld zu verdienen, wird von nacktem Überlebenswillen ersetzt.
Diese Abhängigkeit von einer großen, anonymen Masse, welche ihren vermeintlichen ‚Helden‘ ihren Willen aufoktroyiert, ist eine ziemlich deutliche Parallele zu den realen Verhältnissen, in welchen Social Media Stars allerlei Schwachsinn veranstalten, um weder ihre Werbekunden noch ihre spaßgierigen Communities zu vergraulen und dabei vermutlich mehr als nur einmal Grenzen überschreiten, die andere Menschen niemals in Betracht ziehen würden.

Der Schritt von der normalen, eher unauffälligen Privatperson hin zur entrechteten, enteigneten öffentlichen Person verläuft in NERVE anhand Vees Beispiel in rasender Geschwindigkeit und wird durch die Nachvollziehbarkeit gerade in den ersten Challenges umso erschreckender. Eigentlich eine gute Gelegenheit, über sich den eigenen Umgang mit sozialen Medien und Medienpersönlichkeiten ein paar Gedanken zu machen – denn solche Phänomene entwickeln sich schließlich nicht, wenn sie nicht durch die Zuschauer begünstigt und befeuert werden. 


In der Welt von NERVE, in der Verschwiegenheit Trumpf ist, erscheinen Erwachsene allenfalls als Randfiguren, die möglichst wenig von alledem erfahren sollen - auch hier ein erschreckender Anklang zu heutigen Jugend-Subkulturen, die sich vor den Augen der unwissenden Eltern im Netz entwickeln.
Gerade Leute, die sich mit der heutigen Jugendkultur nicht identifizieren können oder ihr kopfschüttelnd gegenüber stehen, sollten diesem Film einen Blick gönnen. Aber auch Teenager oder junge Erwachsene, die voll im Thema drinstecken, könnten hier einige wertvolle Einsichten gewinnen. Natürlich treibt NERVE die Social Media Community-Möglichkeiten auf eine makabre Spitze, der Tenor des Ausgeliefertseins jedoch bleibt sehr nahe an der Relität dran.

Die beiden Hauptdarsteller Emma Roberts (Vee) und Dave Franco (Ian) liefern eine gute Darstellung ab, gerade Roberts wirkt als die sich vom schüchternen Entlein hin zum stolzen Actionschwan entwickelnde Vee sehr überzeugend und sympathisch.
Mein persönliches Highlight jedoch ist Emily Meades Verkörperung von Vees Freundin Sydney, bei der die eigentliche Unsicherheit und der Wunsch nach Aufmerksamkeit in all ihrer selbstbeweihräuchernden Art gut mit einsickert und bei einem genaueren Hinschauen gut zu erkennen ist. Auch Rapper Machine Gun Kelly in der Rolle des »Ty«, eines Konkurrenten von Ian, bringt einen herrlich gefährlich-durchgeknallten Charakter mit einem interessanten Geheimnis mit ins Spiel.


Einziges, dafür aber merkliches Manko des Filmes ist für mich die nicht wirklich ausreichende Erklärung, wie sich ein am Rande der Legalität entlang schrammendes Massenspiel wie NERVE unerkannt so weit entwickeln konnte und wie die Maschinerie an sich funktioniert, um einer anonymen Masse eine derartige Stimmgewalt und Möglichkeiten zu verleihen, da bei so einigen Challenges der Verdacht einer externen Lenkung recht nahe liegen dürfte.
Hier ist für mich ein Plothole vorhanden, das auch durch die später Einflussnahme durch Vees Freundeskreis nicht geschlossen werden kann – aber das sind Randgedanken, deren Aufflackern den Spaß am Film für mich nicht wirklich verderben.

Fazit: Rasanter Actionthriller im Social-Media/Multimediaspielbereich mit ambitionierten, jungen Schauspielern und ernster Message. Acht von zehn Punkten.


Filmdetails:
Titel: NERVE
Originaltitel: NERVE
Originalsprache:Englisch
Erscheinungsjahr:2016
Länge: 96 Minuten
Altersfreigabe:FSK12
Regie:Henry Joost, Ariel Schulman
Drehbuch: Jessica Sharzer
Darsteller: Emma Roberts, Dave Franco, Emily Meade, Miles Heizer, Kimiko Glenn, Marc John Jeffries, Juliette Lewis, Samira Wiley, Machine Gun Kelly

Über Gloria H. Manderfeld

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