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Buch

Rezension: Ein Tanz mit Drachen

Jon Schnee muss als Kommandant der Nachtwache auf der Mauer Unmögliches vollbringen – tausende hungriger Wildlinge flüchten vor dem nahenden, hartenWinter nach Süden und suchen nach einer neuen Heimat, König Stannis erwartet tatkräftige Unterstützung durch den Bastard des Hauses Stark, und die Brüder der Nachtwache sind immer schwerer von den Ideen ihres Kommandanten zu überzeugen.
Dass Jon durch seine Politik der offenen Tür nur versucht, ihnen eine mögliche Bedrohung durch zu Wiedergängern gewordene tote Wildlinge zu ersparen, ist für die 'Krähen' nicht verständlich, und als er auf seinen Entscheidungen beharrt, nimmt das Unheil seinen Lauf …

Im fernen Meereen zieht sich die Schlinge um die belagerte Stadt immer enger zu – Königin Daenerys Targaryen muss sich für die Eheschließung mit einem Yunkai'i entscheiden, um schlimmeres Blutvergießen der erbosten Städter zu verhindern. Als sie dann doch Arenakämpfe erlaubt, wird ein Anschlag auf ihr Leben und das ihrer engsten Vertrauten verübt, und der lange verschollene Drache Drogon kehrt in Feuer und Blut zurück …

Theon Graufreud, ehemals als 'Stinker' der geprügelte menschliche Schoßhund des grausamen Ramsay Bolton, erfährt vom Herannahen König Stannis' und seines Heeres – noch immer ist er selbst mehr ein Gefangener auf das von den Boltons gehaltene Winterfell und muss tatenlos dabei zusehen, wie Boltons Gemahlin, die vermeintliche Arya Stark, von diesem schwer misshandelt wird. Als sich eine Gelegenheit zur Flucht bietet, muss er seine Angst vor seinem Peiniger überwinden …

Die echte Arya Stark fristet erblindet in Braavos noch immer das Dasein als Dienerin des Vielgesichtigen Gottes und lernt, sich auch ohne ihren Sehsinn zurecht zu finden und sich mit ihrem Schicksal zu arrangieren. Erst als sie einen entscheidenden Fortschritt macht, wandelt sich ihr Leben erneut und bietet ihr aufs Neue die Gelegenheit zur Rache …

Königinmutter Cersei befindet sich seit ihrer Gefangennahme in der Obhut des Glaubens und muss Buße tun, um überhaupt jemals wieder frei kommen zu können – doch die Lennister ist längst nicht geschlagen und trotz eines demütigen Bußgangs durch Königsmund scheint sie nicht vollständig gebrochen zu sein...

Tyrion gerät vom Regen in die Traufe – zuerst ist er Jorah Mormonts Gefangener, dann gerät er mitsamt diesem in die Sklaverei und landet im Heerlager vor der umschlossenen Stadt Meereen, in der zudem noch eine grausame Krankheit wütet. Nur durch seine Intelligenz hat er überhaupt die Möglichkeit, sich wieder aus dieser misslichen Lage herauszuwinden …



Neben diesen Handlungssträngen führt George R. R. Martin auch die Geschichte der weniger behandelten Charaktere konsequent weiter und bleibt seiner Neigung treu, in diesem Spiel der Throne immer wieder blutige Opfer zu fordern. Dabei ist zumindest ein Tod vollauf gerechtfertigt, da dieser Charakter ohne Rücksicht auf Verstand und Vernunft etwas nahezu unmögliches zu tun versucht – und scheitert.
Die eher schleppend verlaufende Handlung aus dem Vorband nimmt in 'Ein Tanz mit Drachen' endlich wieder deutlich Fahrt auf, kann jedoch längst nicht an den spannungsgeladenen Band 5/6 heranreichen. 

Gerade angesichts der immer mehr auseinander fasernden Handlungsorte fällt es schwer, bei einer Figur zu bleiben, sich richtig in diese hinein zu denken, um dann festzustellen, dass sie einem wieder für mehrere Kapitel entrissen wird und man sich neu orientieren muss.
Dieser stetige Perspektivwechsel gelingt, solange eine Grundsituation aus mehreren Blickwinkeln beleuchtet wird. Ändern sich zu den Perspektiven aber auch noch die Handlungsorte stetig, wird vom Leser ein so gutes Gedächtnis für die ungeheure Menge an Personen und Motiven erwartet, dass es irgendwann auch der etwa 100 Seiten starke Anhang mit Personenverzeichnis nicht mehr richten kann.

Auch einer anderen, eher unerfreulichen Tradition bleibt Martin treu – wieder verliert er sich in Reisebeschreibungen, die gerade bei Daenerys' Geschichte so unspektakulär geschildert ist, dass die Lektüre sehr zäh wird. Betrachtet man andere, mit Handlung vollgepackte Kapitel, scheint es fast, als wären Martin die Ideen ausgegangen und würden durch sich sehr ähnlich wirkende Umschreibungen ersetzt.
Überhaupt beschert Martin dem Leser eine Vielzahl von Cliffhangern, die einen wie stets in einem Moment größter Spannung zurück- und nach neuem Lesestoff gieren lassen. Selten war es so ärgerlich wie hier, da auch wieder eine längere Wartezeit auf den nächsten Band zu erwarten ist.

Der größte Cliffhanger von allen, die aus dem Norden wachsende Gefahr durch die 'Anderen', wird jedoch auch in diesem Band kaum beleuchtet und erfährt langsam das Schicksal des 'Schwarzen Mannes', mit dem man Kindern zwar immer wieder droht, der aber doch nie zu kommen scheint, um wirklich zum erschreckenden, grausamen Gegner zu werden.
Hier bleibt die Frage offen, ob im abschließenden Band der Saga noch eine wirklich unschöne Überraschung wartet oder ob durch die Handlungen der verschiedenen Personen die Gefahr abgewehrt werden kann. Zudem scheint sich nur die Nachtwache ernsthaft gegen die Bedrohung zu wappnen.

Viele der Handelnden scheinen sich nicht mehr wesentlich zu entwickeln, sondern verharren in ihren bekannten und eingeübten Handlungsweisen. Glücklicherweise gibt es aber auch Ausreißer: Der auffälligste Charakter in Puncto persönlicher Weiterentwicklung ist in diesem Band Jaime Lennister, der sich endgültig aus dem Einfluss seiner Schwester befreit zu haben scheint und auf eigene, deutlich reflektiertere Weise mit den sich ihm stellenden Herausforderungen umgeht.

Daenerys' Ratlosigkeit für eine brauchbare Politik in einer besetzten Stadt setzt sich auch in Band 10 fort. Sie scheint doch eher eine Herrscherin zu sein, die in der Bewegung sinnvoller agieren kann denn im Stillstand eines zu befriedenden, gleich bleibenden Ortes. Erst als sie wieder auf überraschend neue Umstände reagieren muss, findet sie zu alter Stärke zurück. 
In ihrem Schatten entwickelt sich Ser Barristan Selmy zu einem erstaunlich interessanten Nebencharakter, der gegen die Unmöglichkeiten ankämpft, wo immer er nur kann, ohne ein Patentrezept zu haben und vom Ritter glaubhaft zum Verschwörer wird.

Auch die Einführung des Dorne'schen Umkreises aus Band 9 wirkt erfrischend, da hier die Lust der Charaktere auf Intrigen und die Durchsetzung eigener Interessen deutlich mehr Spannung verheißt als die gegenwärtige Situation am Hof in Königsmund, bei dem die interessanteste Person – Cersei – aus dem Spiel genommen wurde und sich erst wieder eine Machtbasis wird schaffen müssen, um neue Aspekte einzubringen.

Die Lennisters scheinen gewonnen zu haben und versuchen, ihre Herrschaft gegen Haus Tyrell abzusichern, aber gerade Kevan Lennister wirkt im Gegensatz zu Cersei, Tyrion und Jaime eher wie ein zahnloser, viel zu vernünftiger alter Löwe, der in keinster Weise mithalten kann. Es scheint, als sei auch Martin dieser Punkt aufgefallen, im Epilog gibt er einen Ausblick auf das kommende Geschehen, bei dem zu vermuten steht, dass sich wieder vieles ändert.

Fazit: Es kommt wieder Bewegung in Westeros' Gefilde, die Karten werden neu und spannend gemischt – bitte wieder mehr davon! Acht von zehn möglichen Sternen.

Buchdetails:
Reihe: Das Lied von Eis und Feuer, Band 10
Titel: Ein Tanz mit Drachen
Autor: George R. R. Martin
Übersetzer: Andreas Helweg
Buch/Verlagsdaten: Penhaligon Verlag, 800 Seiten, broschiert, Juli 2012, ISBN 13: 978-3764531027, 16€

Über Gloria H. Manderfeld

1 Eure Meinung zu den Nerd-Gedanken:

  1. Danke für das Review! Bin auch gereade fertig geworden mit dem Buch und hasse Martin dafür, dass er am Ende soviel offen im Raum stehen lässt. Naja es sollen ja noch zwei Bände folgen.^^ Nun heißt es wieder 2-5 Jahre hoffen, bangen und warten. -_-

    Doof fand ich das wichtige Ereignisse die ein eigenes Kapitel hätten abdecken könnten einfach zusammengefasst als z.B. Brief Erwähnung finden (Schlacht um Winterfell und das recht ungewisse Schicksal einiger POV-Charaktere). Hier habe ich fast die Vermutung Martin hat bewusst den Rotstifft angesetzt um selbst nicht den Überblick zu verlieren, oder um sich Stoff für die Nachfolger aufzusparen.

    Wir werden sehen. ^^

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