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Der perfekte Moment

Der perfekte Moment: Schwarzer Sand

Keuchend stieß sie den Atem aus und brauchte einige Momente, um sich zu orientieren. Lienas' Schädel schmerzte, während sich die Bilder ihrer letzten Träume in ihrem Inneren eingebrannt hatten und das überwältigende Gefühl von Schuld zurückließen. Von irgendwelchen Märchen über prophetische Träume, die einem die Macht eingab, hatte sie nie viel gehalten. Für einen nüchternen Realisten wie Lienas gab es derlei schlichtweg nicht. 
Sie musste mit dem klar kommen, was sie selbst zu tun imstande war, irgendwelche faszinierenden Fähigkeiten blieben anderen vorbehalten. Und die Bilder, die endlich nach dem Aufwachen irgendeinen Sinn ergaben, nachdem sie schon gut eine Woche jeden Gedanken an erholsamen Schlaf ausgelöscht hatten, zeigten eine Form der Realität, welche sie sich nur mit einer einzigen, falschen Entscheidung erklären konnte.

Sie fiel. Wind pfiff um ihre Ohren, vergeblich tasteten ihre Hände in der Leere nach irgendeinem Halt, den es doch nicht gab. Schnell näherte sich die gelbbraune Oberfläche eines Planeten, dessen unendliche Sandweite von mäandernden schwarzen Strukturen durchzogen waren.
Lange, schmale Finger Schwärze, welche versuchten, durch den Sand zu greifen, als gelte es, sich einen ganzen Planeten in den unbarmherzigen Griff zu nehmen. Die Luft war wie eine harte Wand, gegen die sie immer und immer wieder prallte, als sie fiel, ungebremst dem unvermeidlichen Ende entgegen stürzend ...

Die Müdigkeit ließ sich nur schwer aus ihren Gliedern vertreiben. Wenn man eine Woche lang nur schlecht schlief oder fast gar nicht, hatte das immer Folgen. Im Einsatz konnte sich Lienas mit Aufputschern zur nötigen Leistung spritzen, wenn es nötig war, und Fragen wurden ihr deswegen in der Krankenstation in der Regel nicht gestellt. Aber außerhalb des Einsatzes musste man es irgendwie ertragen, die übliche Leistung bringen, egal wie schwer es fallen mochte. Das war der Nachteil eines festgelegten und bekannten Rollenbildes: man musste alles tun, damit es keinen Schaden erlitt, damit weiterhin alles funktionierte, wie es funktionieren sollte.
Langsam tappte sie in das kleine Bad, welches zu ihrem Quartier gehörte und aktivierte den Wasserhahn, um sich eine Ladung eiskaltes Wasser in das müde Gesicht zu schaufeln. Der Kälteschock belebte sie ein wenig, aber die sonstige erfrischende Wirkung blieb aus. Wie lange würde sie noch von Saffar träumen, von dem Dunkel, das sie dort hinterlassen hatten? Wie lange würde sie sich noch die immer gleiche, verdammte Frage stellen müssen?

Sand umspielte fauchend ihre Schenkel, zuerst eine sachte Liebkosung heißer Partikel, dann rauschte eine riesige Schwade eines Sandsturmes auf sie zu und wurde von der schieren Wucht dessen umgeworfen.
Sie reckte die Hände empor, als würde es irgend etwas helfen, sich gegen diese Naturgewalt zu stemmen, doch stattdessen musste sie beobachten, wie sich das Fleisch ihrer Hände und Arme von den abertausend Partikeln des tosenden Sturmes hinfort gerissen wurde und schließlich nichts als blanker, gebleichter Knochen zurückblieb, ihre Kehle trocken von den erstickten Schmerzensschreien, die bei dieser Prozedur empor dringen wollten und doch ungehört verhallten ...

Man musste immer Verantwortung für sein Tun übernehmen. Egal, ob man durch aktives Handeln Dinge verbockt hatte oder durch Unterlassung. Vielleicht war es das, was sie an dem neuen RsfB-Soldaten Jules Barrow authentisch und menschlich fand - dass er noch immer bestrebt war, seinen Wert für das Imperium zu beweisen, obwohl er einen tiefgreifenden, schwerwiegenden Fehler begangen hatte. Auch wenn durch diesen Fehler ein anderer Mensch ums Leben gekommen war und man nicht sicher sein konnte, ob es nicht einen weiteren Fehler dieser Art geben würde.
Aber für das, was Lienas verbockt hatte, gab es kein Strafprogramm mit anschließender Resozialisierung. Sie musste mit diesem schwarzen Flecken auf ihrer ansonsten relativ makellosen Bilanz irgendwie zu leben lernen, es akzeptieren, dass sie feige gewesen war. Dass sie den bequemeren Weg gewählt hatte anstelle des Risikos, und dass sie nicht wusste, was daraus erwachsen war. Einige Sekunden der Unsicherheit, und sie hatte sich einschüchtern lassen. Wissend, dass es die falsche Entscheidung war, hatte sie sich der größeren Gewalt von Lord Gale gebeugt, und die einzige Möglichkeit strich vorbei, unwiderbringlich. Schon wieder müde setzte sie sich auf die Kante ihres Betts, das im Zwielicht eines herandämmernden Morgens unendlich leer wirkte.

Im Halbdunkel der Kaverne konnte sie sich nur dank ihrer verbesserten Dämmerungssicht wirklich orientieren, der Kegel ihrer Taschenlampe war viel zu klein, um ein Gesamtbild möglich zu machen. Träge rannen in ihrem Blickfeld Rinnsale von schwarzem Teer die Wände und Decken hinab, wanden sich um ihre Füße und krochen an ihren Schenkeln wie klebrige Schlangen empor, sie festhaltend, fesselnd, sodass sie dem Stöhnen und Klagen ungesehener Stimmen nicht entkommen konnte. 
Das Kreischen dieser Stimmen schwoll an, formte einen bestialischen Schrei, der mit dröhnender Wucht in ihrem Kopf widerhallte und von welchem sie schließlich erwachte, feststellend, dass sie es gewesen war, die geschrien hatte...

Der Schweiß trocknete auf den unbedeckten Stellen ihrer Haut und hinterließ eisige Kälte in ihrem dunklen Schlafraum. In solchen Augenblicken war ein Soldat stets alleine. Wenn ihn die Geister seiner Vergangenheit einholten und ihren kalten, unbarmherzigen Griff um das Herz des Soldaten nicht lockern wollten. Wenn man mehr Fehler sah als jene Dinge, die gut gelaufen waren wie beispielsweise beim Einsatz im Vana-System. Zwei makellose Einsätze und ein zumindest geglückter Vorstoß unter ihrer Kommandoführung im Feld, sie hätte feiern müssen. Sich dafür beglückwünschen, dass es die Leistung ihres Teams gewesen war, welche maßgeblich die reibungslose Invasion dieses Systems möglich gemacht hatte.
Stattdessen fühlte sie sich noch immer wie an jenem Abend im Besprechungsraum auf der "Arch of Tears", bei dem Lord Gale seinen Racheplan an den auf Saffar einheimischen Rehanern dargelegt hatte. Eine biologische Waffe, welche die dreiäugigen, aggressiven Ureinwohner effektiv töten sollte, speziell auf deren Eigenheiten zugeschnitten. Konstruiert von einer ehrgeizigen Medizinerin, die ihre Arbeit viel zu gut ausgeführt hatte.

Ein taktisch wertloses Manöver, da sie ohnehin schon kurz vor dem Abzug vom Planeten standen. Aber der Sith brannte darauf, Blutzoll für die zerstörten Leben auf Saffar zu erheben. Rache für etwas, das sich nicht mehr ändern ließ. Drei Captains und ein Lieutenant mussten diesen Willen umsetzen, allen Vorbehalten zum Trotz. Bei Captain Stryder war sie sich sicher gewesen, dass er sie unterstützt hätte, wenn sie versucht hätte, das Ganze final und mit maximalem Gewalteinsatz zu verhindern.
Die Unsicherheitsfaktoren blieben Captain Thrace, der nicht die gnadenlose Killermentalität eines ehemaligen Agenten mit sich brachte, und Bennings, dessen Haltung zu Sith sie nicht kannte. Einen Sith bekam man nur mit überlegener Feuerkraft oder mit Überraschung klein. Oder mit beidem. Zu riskant. Und die Giftbomben waren zwei Tage später unaufhaltsam auf Saffar gefallen, um die einheimische Bevölkerung wie Ungeziefer auszurotten, ein für allemal. Gale war triumphal zum Ministerium zurückgekehrt und hatte durch den Schweiß und das Blut der Soldaten auf Saffar einige Sprossen auf der Karriereleiter empor klettern können.

Sie schlug im Sand der Wüste auf, für einen Moment von dem irrigen Gedanken bewegt, dass ihr wieder diese verdammten Körner in jeder Körperritze scheuern würden, wenn es ihr nicht gelang, alles von sich herunterzuklopfen. In der Nähe war der schwarze Sand gut zu erkennen, nahe ihrer Einschlagstelle auf der Düne. Sachte wirbelte die Wüstenluft Sand um ihre Knöchel auf, als ihr Blick auf einen bleichen Schädel fiel, der halb versunken auf dem Boden lag. Drei Augenhöhlen, der Schädel eines Rehaners. Irritiert legte sie die Hand auf das knöcherne Relikt und hob es an, um es genauer betrachten zu können. 
Aus den toten Augen schnellten schwarze, ölige Schlangen hervor, viel zu schnell, als dass sie diesen durch das Lösen ihres Griffs um den Schädel hätte entkommen können. Die Schlangen schlossen sich wie sengende Ketten um ihre Handgelenke, und sie schrie, der Körper lichterloh in Flammen vor lauter Schmerz ...

Ihre Bettdecke war feucht von ihrem Schweiß und sie stieß sie mit einem weiteren Keuchen von sich, sodass diese auf den Boden fiel und den verkrampften Körper der Offizierin auf ihrem Bett zurückließ. Seit sie den IGD verlassen hatte, hatte sie nur noch im Kriegseinsatz getötet. Wenn die Gegner mindestens genauso gewillt gewesen waren, sie zu töten, wie sie selbst es war, sobald sie das Schlachtfeld betreten hatte. Im Einsatz waren die Verhältnisse leicht. Beide Seiten wollten überleben, nur eine Seite konnte gewinnen. Dabei konnte es immer nur mit Blut enden, aber es endete wenigstens schnell. Nicht so langwierig und grausam, wie der Tod zu den Rehanern gekommen sein musste.

Lienas hatte sich geschworen, dass sie ihre Leute immer lebendig zurückbringen würde, so weit sie es nur zu tun vermochte. Dieser Schwur hatte sie in ein kurz vor der Explosion stehendes Shuttle getrieben, um nachzusehen, ob jemand der Piloten überlebt hatte. Dieser Schwur hatte sie einiges an Credits gekostet, um für eine Operation von Theila Wheest zu sorgen, damit sie nicht an ihren auf Vana erlittenen Verletzungen krepierte.
Als Soldatin, die wenige Wochen zuvor im Einsatz Befehle verweigert hatte, war Wheest im RsfB-Programm gelandet und hatte damit nur Anspruch auf minimalste medizinische Versorgung. Auch wenn Lienas der Ansicht war, dass ein Erschießungskommando für die tief in Wheest sitzende Rebellion die gnädigere Lösung gewesen wäre, gab es in diesem Fall nur eine Entscheidung.

Ein Leben für so viele, die sie kaltblütig auf Befehl genommen hatte.
Aber die toten, leeren Augenhöhlen in diesem Rehanerschädel konnte sie nicht ungeschehen machen. Nicht mit Geld, nicht mit Reue, nicht mit Wut oder Müdigkeit. Vermutlich hatte sie einfach noch nicht genug bezahlt. Vermutlich würde sie ihr Leben lang bezahlen müssen, weil es für eine solche Schuld keine Kompensation geben konnte. Ihr Herz klopfte noch immer schnell, sie spürte das Dröhnen ihres Blutes in den Ohren. Die Arme und Beine ausgestreckt, blieb sie einfach auf dem Bett liegen, so müde wie schon lange nicht mehr. Hätte man Erschöpfung greifen und in einen Körper stecken können, es wäre wohl der ihre gewesen. Aber ein neuer Tag wartete, der bis zur letzten Minute exakt durchgetaktet war und einen ganzen Berg Arbeit beinhaltete, welcher sich nicht von alleine erledigte.
Sie würde einfach noch mehr Caf trinken müssen. Sehr viel mehr Caf.

Und irgendwann hätte sie vielleicht auch genug Kraft, die Box zu öffnen, die ihr der überaus höfliche Captain Turasic von der Abteilung Veteranen- und Hinterbliebenenfürsorge vom Kriegsministerum am Tag zuvor übergeben hatte. Lorans wenige verbliebene Besitztümer, aus dem Wrack des IBC Valor geborgen, welches zu seinem Grab geworden war. Dass es überhaupt irgendwelche Dinge gab, die man hatte bergen können, war schon ein kleines Wunder. Aber gleichzeitig riss es auch eine Wunde auf, die nur schwer hatte heilen wollen und nach über vier Jahren trotz allem Abstand nach wie vor schmerzte.
Mit den Gedanken an Loran kamen auch die Gedanken an Corporal Konders Tod, und Arrics Schreie, als der verrückte Wissenschaftler seine Augen zerstört hatte, und an überhaupt alles, das sie trotz festestem Willen nicht hatte verhindern können. Mit den Jahren war es einfach zu viel geworden. Während die Dunkelheit der Nacht vor ihren Fenstern langsam einem trüben, freudlos wirkenden Morgen wich, war es Lienas klar, dass sie nicht mehr würde schlafen können. Mühsam schob sie sich aus ihrem Bett, ließ die Decke liegen, wo sie lag, und kehrte ins Bad zurück, um es dieses Mal mit einer kalten Dusche zu versuchen. Und später würde sie sich ein paar Liter Caf bringen lassen. Mit genug Tabellen und Flimsiakten würden die Bilder vielleicht endlich in ihrem Kopf verblassen...

OOC: Danke an den Spieler von Rey Limsharn, der durch die abartigen Träume Lienas' den Anstoß zu diesem Text geliefert hat, welcher den Auftakt für den Saffar-Plot "Schwarzer Sand" bildet.

Über Gloria H. Manderfeld

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