Früher war so einiges leichter in der Literatur und im Filmgeschäft. Schaut man in die 1960er Jahre, dann war ein echter Held vor allem männlich, weiß, kurzhaarig und hatte ein markantes Gesicht. Glücklicherweise gab es seitdem ein paar kulturelle Umwälzungen, bei denen viele, aber leider längst nicht alle Gesellschaften nachhaltig auf den Gedanken gebracht wurden, dass Frauen mehr sein können als nur die devoten Lieferantinnen von zubereiteter Nahrung, Zuneigung, sexuellen Gefälligkeiten und Haushaltstätigkeiten.
Also zogen die Kulturschaffenden nach: In der Literatur früher als beim Filmgeschäft, tummelten sich nach und nach weibliche Helden in abenteuerlastigen Umgebungen. Marion Zimmer-Bradleys "Darkover"-Buchreihe setzte Frauen in wichtige Positionen, bei "Star Wars" kämpfte Prinzessin Leia für die Freiheit vom Imperium und Red Sonja zeigte ihren männlichen Geschlechtsgenossen, wo der Hammer (oder das Schwert) hängt. Aber inzwischen scheint mir diese Suche nach der weiblichen Paraderolle seltsame Züge anzunehmen - denn so gerne ich interessante Frauen sehe und mich darüber freue, vielschichtige Damen zu entdecken, so sehr nervt es mich, wenn übertrieben wird.
Gerade "Star Wars" führt mit den neuen Filmen (Episode VII: Das Erwachen der Macht und Rogue One) zwei weibliche Hauptfiguren ein, die neben schicker Optik noch allerlei Vorzüge mitbringen. Jung-Machtanwenderin Rey hat es geschafft, jahrelang auf einem Wüstenplaneten mit harschen Lebensbedingungen als Schrottsammlerin ihr Auskommen zu finden, versteht binnen Sekunden die Funktionsweise des "Millennium Falcon" fast besser als dessen einstiger Besitzer Han Solo, macht in kürztester Zeit Freunde fürs Leben, die ihr treu ergeben folgen und lernt sozusagen noch nebenbei den Umgang mit der Macht, als sei das Ganze so trivial wie ein Sonntagsspaziergang.
Auch der Antagonist (oder zumindest der Kerl, der sich reichlich Mühe gibt, Antagonist zu sein, leider aber wie ein Milchbubi 'rüberkommt, der ein bisschen seine pubertären Aggressionen loslassen muss) bekommt von Rey beim ersten Schlagabtausch ordentlich einen auf die Mütze - mit dem Lichtschwert, das sie praktischerweise kurz zuvor gefunden hatte.
Auch Jyn Erso, die eigentlich erstmal gar nichts mit der Rebellion und den Problemen derselben zu tun haben will, driftet ein bisschen in die Richtung 'krasses Mädel von Nebenan' ab, da sie von der eigenbrötlerischen Einzelgängerin zur um sich schießenden, dem Imperium bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Hintern tretenden Frau mutiert, die nebenher die am Boden liegende Rebellion durch ihre motivierende Präsenz und ihr Ziel wieder auf Kurs bringt - was ich eher bei bereits arrivierten Gestalten wie der geschickten Politikerin Mon Mothma verortet hätte.
Schauen wir bei "Game of Thrones" herein, gibt es auch da einen Charakter, bei dem zumindest mir immer das kalte Grausen kommt: Daenerys Targaryen, die Sturmgeborene, Mutter der Drachen, die Unverbrannte, die in jeder Konfliktsituation irgendeine passende Fähigkeit (wird von Feuer nicht verbrannt), einen innerhalb kürzester Zeit in heißer Liebe und Loyalität zu ihr entbrannten Mann oder gleich dicke Drachen aus dem Ärmel zieht, um das Problem zu beseitigen. Ja, sie beginnt als an Khal Drogo verscherbelte Kindsbraut, die erst einmal lernen muss, wie die Machtverhältnisse funktionieren. Aber sobald sie erstmal ihren Männerharem bedingungslos hechelnder Männer um sich versammelt hat, hat sie selbst nach idiotischsten politischen Entscheidungen Erfolg - im Zweifel wird der Gegner eben einfach verbrannt oder wilden Reiterhorden überrannt.
Das alles zeigt doch einen gewissen Trend, den ich inzwischen sehr schade finde: anstelle wirklich vielschichtiger Frauencharaktere, die durch ihre inneren Qualitäten überzeugen, wird den Damen einfach so viel an Können (oder purem Glück) mitgegeben, dass ihnen gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als aus der Masse weit herauszustechen. Und Mary Sues mag niemand, egal ob männlich oder weiblich.
Ist es nun wieder so weit, dass weibliche Helden nur dann als herausragend empfunden werden, wenn sie Meisterinnen aller Klassen sind? Prinzessin Leia wurde nicht deswegen zur Ikone einer ganzen Generation an weiblichen Nerds, weil sie jeden männlichen Konkurrenten durch die Masse ihres Könnens ausgestochen hat. Sondern weil sie andere inspirierte, an eine wichtige Sache zu glauben, weil sie zeigte, dass man sowohl weiblich als auch eine starke Persönlichkeit sein kann, ohne gleich zum Rambo aller Klassen mit Brüsten zu mutieren.
Botschafterin Delenn bei Babylon 5 war auch keine Kämpferin aller Klassen, sondern viel spiritueller angelegt - sie ging das große Wagnis ein, sich selbst zu transformieren und reformierte ein ganzes Volk mit der Kraft ihrer Ideen und geistigen wie geistlichen Weisheit, um ihren großen Anteil an einer Vereinigung aller Völker gegen die Schatten zu erreichen. Präsidentin Laura Roslin startete als Bibliothekarin und übernahm bei Battlestar Galactica die schwierige Aufgabe, ein verfolgtes und zerstrittenes Volk vor der Auslöschung zu bewahren und für dieses eine neue Heimat finden zu helfen, trotz aller Widerstände, interner wie externer Gegner und einer unheilbaren Krankheit.
Das ist es, was für mich starke Frauen ausmacht, die am heutigen Weltfrauentag gewürdigt werden sollen - Heldinnen, die durch ihre Überzeugungen, ihren Willen, ihr Durchhaltevermögen, ihre Disziplin und ihre Fähigkeit, andere zu inspirieren, einzigartig werden.
Natürlich sind auch Frauen mit kämpferischem Schwerpunkt willkommene Persönlichkeiten - was wäre denn Battlestar Galactica ohne Cara Thrace und ihren frechen Witz? Würde Babylon 5 ohne Commander Susan Ivanovas Durchsetzungskraft und militärisches Geschick ebenso gut laufen? Wäre Game of Thrones ohne die meisterliche Kämpferin Brienne von Tarth und deren halsstarrige Ritterlichkeit spannender oder würde nicht doch ein Gegengewicht zu den vielen so gar nicht edlen männlichen Rittern fehlen?
Ein herausragender Held männlichen wie weiblichen Geschlechts muss nicht zwingend alles können, um Fans zu finden. Mary Sues sind der falsche Weg spannenden character buildings, da ihnen die Schwächen fehlen, die sie menschlich und damit als Persönlichkeit für uns greifbar machen. Erst ein Held, der immer mal wieder scheitert und äußere wie innere Schwierigkeiten überwinden muss, um voran zu kommen, kann sich weiterentwickeln und sich neuen Herausforderungen stellen.
Das gilt auch für Rollenspiel-Charaktere: Nur Schwächen machen den Helden zu einer Persönlichkeit, die man immer weiter formen kann. Und ab da wird es spannend für den Spieler und die Mitspieler gleichermaßen, da man sich gegenseitig mit Ideen, Hindernissen und auch dem Spaß daran, das ganze gemeinsam zu erleben, befruchten kann. An einer Mary Sue hat meist nur die Person Freude, die sie spielt ...
Daenerys Targaryen mag man ja noch damit entschuldigen, dass sie einer übermenschlichen Rasse angehört und somit menschliche Massstäbe deplaziert sind.
AntwortenLöschenAllerdings erinnert sie mich stark an eine literarische Figur, von der man selbiges sagen konnte, die aber dennoch vielschichtig und interessant konzipiert war: die Protagonistin aus "Im Herzen des Vulkans" (Birthgrave) von Tanith Lee. Überhaupt, die Figuren von Tanith Lee, männliche wie weibliche (wie hermaphrodite), haben es in sich.
Naja, betrachtet man andere Targaryens, dann sind die nicht wirklich übermenschlich, sondern schon sehr degeneriert, man denke nur an die ganzen Verrückten, welche dieses Haus hervorgebracht hat.
LöschenDas zitierte Buch kenne ich leider nicht, aber ich sehe schon, das wäre es wohl wert, mal einen Blick zu riskieren :)
Unbedingt! Birthgrave bekommst Du auf ebay. Egal wie abgeranzt, lesen!
LöschenGenerell sind ihre ältesten Werke die besten.
Siehe auch meinen Nachruf:
https://ghoultunnel.wordpress.com/2015/05/28/leben-ist-leiden-liebe-ist-tod-das-literarische-vermachtnis-der-tanith-lee/
Im Buch ist Daenerys deutlich weniger Über. Da verzweifelt und zerbricht sie eines ums andere Mal an der Politik, in der manche sie als Spielball betrachten (gerade ihr "Harem ihr hinterherhechelnder Männer" sind ihr dort nicht wirklich bedingungslos ergeben, sondern erhoffen sich konkrete Vorteile durch eine Allianz mit ihr, während sie gleichzeitig versuchen Dany von sich abhängig zu machen). Ganz zu schweigen davon, dass ihre Drachen sich im fünften Buch eher zum Stigma (Massenvernichtungswaffe) für sie entwickeln, als dass sie ihr wirkliche Vorteile bringen.
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