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Gekonnt demontiert: Wie SW:ToR die Handwerksberufe selbst zerstört

Egal, welches MMORPG ich in den letzten Jahren gespielt habe, war für mich die Möglichkeit, Gegenstände herzustellen und entweder für meine Charaktere selbst zu benutzen oder aber gewinnbringend an andere Spieler zu verkaufen, ein elementarer Bestandteil des jeweiligen Spiels. Ein MMORPG ohne Handwerkssystem? Furchtbar. Wo bleibt da der Spaß am Entdecken, die Jagd nach seltenen Bauplänen, das Auf und Ab der Marktpreise und das Finden von Nischen, in denen man guten Gewinn machen kann?

Im ersten Jahr von SW:ToR war es für einen geschickten Handwerksnutzer möglich, gutes Geld in Form von Credits zu verdienen, vor allem, wenn man geduldig genug war, Baupläne zu forschen, deren Entwicklung einiges an Ressourcen verschlungen hat.

Das Handwerkssystem von SW:ToR funktioniert im Grunde sehr simpel: Man kann bis zu drei Handwerksfähigkeiten erlernen. Bei einem Herstellungsberuf braucht man zwei verschiedene Sammelberufe, welche die für die Warenherstellung nötigen Ressourcen liefern. 
Der Ingame-Begleiter des Spielercharakters wird entweder zur Herstellung der gewünschten Gegenstände angehalten, was ein gewisses Maß Zeit braucht, oder zum Sammeln auf eine Mission geschickt, die je nach Schwierigkeit und Qualität der Ressourcen ein paar Credits kostet. Sind die Gegenstände hergestellt oder die Sammelnmission abgeschlossen, landen die Ergebnisse im Inventar des Spielers.

Bei Gegenständen gibt es verschiedene Qualitätsstufen: Graue Gegenstände sind die billigsten und haben keine oder nur geringe Werte, welche die Eigenschaftspunkte des Spielercharakters verbessern. Grüne Gegenstände sind der absolute Durchschnitt, Blaue etwas besser, Lila Gegenstände sind die beste Qualitätsstufe und bieten das maximal mögliche an Eigenschaftsverbesserung.

Handwerksmenu "Rüstungsbau"
Ich nehme hier das Handwerksmenu für "Rüstungsbau" als Beispiel: Neue Baupläne lernt man beim Trainer für Rüstungsbau gegen ein gewisses Credit-Entgelt und kann dann zumeist Baupläne für grüne oder blaue Gegenstände kaufen.
Wenn man die hochwertigsten Gegenstände herstellen können will, muss man blaue Gegenstände herstellen und zerlegen - mit einer 20%-igen Wahrscheinlichkeit für Abonnenten kann man dann einen lila Bauplan beim Zerlegen erlernen. Da dieses Erlernen zufallsgesteuert ist, kann es auch passieren, dass man 30 oder 40 blaue Gegenstände herstellen und zerlegen muss, um an einen der begehrten lila Baupläne zu kommen. Gerade im Endgame kann das ordentlich ins Geld gehen und führt zu gerauften Haaren beim Handwerksspieler. Mein bisheriger Spitzenwert waren 55 blaue Gegenstände im damaligen Endgamebereich Level 50, um an einen bestimmten Bauplan zu kommen ... der Ingame-Geldbeutel hat da ordentlich geweint ;)

Um die derzeitige Misere zu verstehen, bedarf es allerdings noch einer weiteren Erklärung, die einen Einblick in das Gegenstandssystem gewährt. SW:ToR bietet nicht modifizierbare (grau, grün, blau, manche auch lila) und modifizierbare Gegenstände (Qualitätsstufe lila oder braunorange = Adaptivrüstung/-waffe), in welche man Armierungen, Modifikationen, Verbesserungen, Läufe (für Schusswaffen), Hefte (für Lichtschwerter) und Kristalle (für Waffen allgemein) einbauen kann. Damit ist es möglich, einen Gegenstand für die gewählte Spielweise sehr feingranular anzupassen. 

Modifizierbare Beinrüstung mit 4 Komponentenslots
Spiele ich zum Beispiel einen Saboteur-Heiler, benötige ich nicht nur die Grundwerte wie List und Ausdauer, um einen hohen Heilwert und einigermaßen Überlebbarkeit zu erreichen, sondern auch Angriffskraft, kritische Trefferwertung, Schnelligkeit und Wogenwert, um meine Ergebnisse beim Heilen zu verbessern. Gegenstände, die alle diese Werte gleichermaßen anbieten, gibt es nicht, also muss ich versuchen, über eine geschickte Kombination der Komponenten das maximal mögliche zu erreichen.
Der Vorteil ist, dass man mit einer modifizierbaren Rüstung die Rüstteile einmal anschafft und nur mit steigendem Level die Komponenten anpassen muss. Als SW:ToR noch ohne F2Play Modell unterwegs war, nutzte man für gewöhnlich Adaptivrüstung und -waffen erst im Endgame, wenn es wichtig wurde, die Werte der Spezialisierung genau anzupassen. Zuvor reichten auch blaue oder grüne Rüstungsteile, weil man ohnehin mit steigendem Level aus den Sachen 'herauswuchs' und die Kosten für derlei geringer waren, als jeweils zwei bis drei Komponenten pro größerem Levelsprung anzuschaffen.

Heute allerdings, nach Einführung des F2Play-Modells mitsamt der Kartellpakete, sieht die Spielelandschaft ganz anders aus: Durch as Überangebot an Adaptivrüstungen aus den Kartellpaketen, deren häufigste Rüstungsstücke teilweise für einen lächerlichen Preis angeboten werden, leistet sich diese inzwischen jeder. Man könnte meinen, dass Handwerker, welche Komponenten herstellen können, dadurch fein heraus wären, aber weit gefehlt: In den Kartellpaketen gibt es zudem auch Kristalle mit Maximalwerten (+41 des jeweiligen Werts, mehr geht derzeit nicht), die man ab Level 10 benutzen kann. Eine einmal getätigte Investition im Level 10 und man muss niemals wieder einen Kristall kaufen. Für Kunstfertiger, welche eine breite Palette an Kristallen von Lvl 9 bis 55 herstellen können, eine wirtschaftliche Katastrophe.

Einblick in den Markt: 240 Seiten Adaptivrüstung
Auch der Rüstungs- oder Waffenbauer guckt derzeit in die Röhre: Für seine grünen und blauen Rüstungsteile interessiert sich kein Mensch mehr, da Adaptivrüstung aus den Kartellpaketen lächerlich billig im Galaktischen Handelsmarkt zu finden ist. 
Der Cybertechniker (Armierungen und Modifikationen), aber auch der Kunstfertiger (Verbesserungen) stöhnen, weil inzwischen Planetenabzeichen in rauer Menge beim Abschlachten von Questmobs droppen und man mit diesen für wenige Abzeichen nur bei einem entsprechenden Händler die Komponenten auf Endgameniveau kaufen kann. Cybertechniker (Ohrstücke) und Biochemiker (Implantate) bekommen durch ebenfalls reichliche blaue Drops in Daily-Gebieten wie Sektion X und dem Czerka-Mond Konkurrenz - und wer sich ein hochwertiges Stück im lila Bereich zusammenschraubt, muss nur einen der 55er Flashpoints im Hardmode besuchen und bekommt da bessere Gegenstände nachgeworfen.
Erweiterungen für das Schiff des Charakters, die bis Level 6 vom Cybertechniker hergestellt wurden, gibt es im Level 7 im Spezial-Kartellpaket oder aber beim Händler gegen Flottenmarken. Die drei Schiffserweiterungen von Level 7, die man als Cybertechniker herstellen könnte, brauchen eine so exorbitante Menge an teuren und seltenen Ressourcen, dass sich bei den derzeitigen Marktpreisen eine Herstellung absolut nicht lohnt, ausser man will draufzahlen.

Was bleibt dann noch? Nicht mehr viel - Färbemodule für die Adaptivrüstung, welche der Kunstfertiger herstellt. Aufwertungskits. mit denen man an seiner Rüstung einen weiteren Slot 'anschrauben' kann, den man mit einem weiteren Modifikationstyp, der Aufwertung, bestückt. Aber es kann sich im Grunde nur noch um eine Frage der Zeit handeln, bis auch diese letzte Enklave, für die man einen gut geskillten Handwerker noch brauchen kann, der Gier von EA nach realem Geld zum Opfer fällt.
Wenn die Mission war, die Handwerksberufe ad absurdum zu führen, dann haben sie es geschafft. Bravourös. Vielleicht klatsche ich auch irgendwann mal Beifall.

Über Gloria H. Manderfeld

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