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Rezension: Die Flüsse von London

„Können Sie beweisen, dass Sie tot sind?“ Diese Frage stellt der Constable Peter Grand dem einzigen Zeugen am neuesten Mord-Tatort in Covent Garden, an dem er und seine Kollegin Lesley zur Sicherung abgestellt wurden. Denn bei diesem Zeugen gibt es ein eklatantes Problem: er ist ein Geist und ist der einzige, der gesehen hat, wie das Opfer enthauptet wurde.
Pflichtschuldig notiert der gerade erst mit seiner Ausbildung fertig gewordene junge Londoner Polizist die Aussage des Geistes und wird dadurch in eine Welt hinein gezogen, die er sich zuvor nie erträumt hätte. Denn anstelle des befürchteten Schreibtischjobs nimmt ihn Inspektor Thomas Nightingale von der magischen Spezialabteilung der Metropolitan Police als Lehrling an. Nun besteht Peters Alltag nicht nur aus dem ganz normalen Wahnsinn eines Polizisten in einer pulsierenden Metropole, sondern auch aus dem sich recht schwierig gestaltenden Erlernen echter Magie.

Doch auch die Fälle, mit denen die beiden Ermittler konfrontiert werden, haben es in sich: Die in reichlich schrägen Charakteren personifizierten Flüsse der Stadt haben einen Jahrhunderte alten Revierstreit, in dem die Magier vermitteln müssen  –  nur haben Mama Themse und Vater Themse reichlich Nachwuchs, der zudem noch eigene Pläne verfolgt.
Während Peter zwischen den Reizen einer der Töchter von Mama Themse und seiner attraktiven Kollegin Lesley schwankt, erfordert der Mordfall die ganze Aufmerksamkeit des Constable – es bleibt nicht der einzige Mord dieser Art, und eine Art Massenblutrausch, Vampire und Hierarchiestreitigkeiten innerhalb der Polizei tun ihr übriges, um Grant und Nightingale bis aufs Äußerste zu fordern…


So bunt das reale London auch sein mag, das London von Peter Grant und Inspektor Nightingale ist noch ein bisschen bunter und abwechslungsreicher als die bekannte Gegenwart. Neben phantastischen Monstern werden die Mythen der Stadtgeschichte lebendig. Die Ermittler müssen sich also nicht nur auf bekannten Pfaden beweisen, sondern mit Einfühlungsvermögen in die besonderen Situationen von Geistern, Vampiren und sonstigen übernatürlichen Wesen agieren.
Aaronovitch erzählt hier im Grunde drei Geschichten in einer: Die langsame Initiation Peter Grants als Zauberlehrling, der sich in einer für ihn unvermittelt fremd gewordenen Umgebung zurecht finden muss, die Geschichte des Mörders, der mit Vorliebe seine Opfer enthauptet und dessen Wurzeln tief in der Theatergeschichte der Stadt verhaftet sind – und die Grenzrivalitäten zwischen Mama und Vater Themse, deren Lebensstil als Flussgottheiten so unterschiedlich sind, dass es ohne Vermittlung ‚von außen‘ nicht mehr ohne blutige Konflikte weiter geht.

Dabei gelingt es dem Autor gerade nach dem dramatischen Höhepunkt in der Oper nicht mehr, den Spannungsbogen der Geschichte zu halten, die Lösung des Flussgötterkonfliktes wirkt unmotiviert nachgeschoben und wenig einfallsreich. Viele der Überlegungen Grants und die Beschreibungen von Vorgängen und Umgebungen während dem Fortschreiten der Erzählung sind etwas langatmig und zu umfangreich ausgefallen, um dauerhaft die Sucht nach dem Umblättern und neuen Erkenntnissen beim Leser wach zu halten.

Auch das überraschend blutige, extreme Gewaltpotential der Actionszenen ist nicht ganz dem phantastischen Hintergrund angemessen. Inmitten einer phantastischen, vielfältigen Umgebung wirkt es bisweilen, als hätte der Autor mit aller Gewalt das schmutzige Mittelalter oder die drastische Nüchternheit von modernen Krimi-TV-Serien einbauen wollen, um den Bezug zum gegenwärtigen Geschehen zu wahren.

Die Stärke des Autors zeigt sich in der Charakterisierung seiner handelnden Personen – skurril, mit vielen Macken und Kanten werden die energische Mutter von Peter Grant, sein drogenabhängiger und als Jazzmusiker bekannter Vater, der langlebige Gentleman Thomas Nightingale, die Themse-Tochter und Jung-Flussgöttin Beverly, aber auch Peter Grant und seine Kollegin Lesley zu lebendigen, glaubhaften Gestalten.

Mit viel Wortwitz und einem sehr trockenen (englischen!) Humor betrachtet Peter, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, seine Umgebung und bringt in diese auch einige amüsante Zeitbezüge und Vergleiche mit der Populärkultur unserer Tage mit ein. So erscheint die Konstruktion der phantastischen Welt nie überhöht.
Durch neue Ideenansätze, die sich nicht ausschließlich auf bekannte Sagen- und Mythengestalten stützen, erschafft sich Aaronovitch einen eigenen Platz für seinen Peter Grant mit einer interessanten Nische. So bleibt zu hoffen, dass die Hauptkritikpunkte an diesem Band (zu explizite Gewalt, zu viele Längen, schlecht gehaltener Spannungsbogen) bei den folgenden Bänden verbessert werden.

Fazit: Wer moderne Zauberergeschichten mag, kann hier zugreifen, muss aber etwas Sitzfleisch wegen gewisser Längen mitbringen. Wegen des vielen Bluts nur sechs von zehn möglichen Punkten.

Buchdaten:
Titel: Die Flüsse von London
Originaltitel: Rivers of London
Autor: Ben Aaronovitch
Übersetzer: Karlheinz Dürr
Buch-/Verlagsdaten: Deutscher Taschenbuch Verlag, Januar 2012, Taschenbuch, 480 Seiten, ISBN-13: 978-3423213417, 9,95 €

Über Gloria H. Manderfeld

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