Gerade wenn man mit einem langjährig gespielten Charakter auf eine Neuschöpfung trifft, geschieht es oft, dass der Uraltcharakter auf einen riesigen Fundus an Erzählungen und Erlebnissen zurückgreifen kann, die diesen in seiner Entwicklung und seinen Ansichten geformt haben. Für einen Neucharakter, der vielleicht gerade frisch erschaffen wurde, ist es da natürlich gerade bei tiefgreifenderen Diskussionen schwierig, wirklich gegenzuhalten - oder aber man hat sich als Spieler bereits sehr viele Gedanken im Voraus um Wohl und Wehe dieses Neuzugangs gemacht.
Doch auch bei Charakteren mit längerer Geschichte kann der Wunsch aufkommen, noch ein bisschen mehr zu erschaffen, das andere im Spiel entdecken können und den Umgang des Charakters mit seiner Umgebung erweitert. Deswegen stelle ich euch heute drei verschiedene Ansätze vor, mit denen ihr euren Charakteren vielleicht noch etwas mehr Hintergrund und Tiefe verleihen könnt - ich hoffe, für den einen oder die andere etwas hilfreiches bieten zu können :)
1. Eine Weltanschauung
Ohne eine grundlegende Weltanschauung bleibt jeder Charakter blass, da sie auf fast jede Aktion Einfluss nehmen kann. Ein Optimist wird sicherlich anders mit Problemen umgehen als ein Pessimist, ein Pazifist wird in kriegerischen Situationen andere Wege zur Lösung wählen als ein Charakter, der an das Recht des Stärkeren glaubt.
Der Vorteil bei einer Weltanschauung ist, dass sie nichts ist, das in Stein gemeißelt sein muss, wenn man den Charakter mit einer bestimmten Ansicht starten lässt. Tiefgreifende Ereignisse im "Charakterleben" können die Weltanschauung auf die Probe stellen und auch verändern. Eine solche Entwicklung kann sehr spannend sein, wenn man Mitspieler hat, die das mit einem teilen und Spaß daran finden, einen Weg wie diesen zu begleiten. Da ist es auch egal, in welchem Umfeld man spielt, ob nun am Tisch, online oder beim LARP. Gerade langjährige Charakterfortschritte können durch einen Wandel in der Weltanschauungen sehr spannend werden und geben dem Spieler auch eine neue Herausforderung, altbekannte Situationen neu bewerten zu müssen.
Mögliche Weltanschauungen könnten sein:
Optimismus: Egal was passiert, dieser Charakter glaubt daran, dass sich die Dinge zum Besseren wenden und ein positives Endergebnis erreicht werden kann. Gerade junge, behütet aufgewachsene Charaktere oder Persönlichkeiten mit einer gewissen Grundnaivität können mit einer solchen Weltanschauung starten.
Nihilismus: Für einen Nihilisten zählen allein die Befriedigung seiner Bedürfnisse, er folgt seinen Trieben und Neigungen. Konsequenzen für sich und die Umgebung sind dem Nihilisten erstmal weniger wichtig; das Individuum steht vor der Masse. Gesellschaftliche Systeme oder moralische Erwägungen haben für den Nihilisten keinen Belang.
Recht des Stärkeren: Derjenige, der die Möglichkeit hat, sich etwas zu nehmen, darf es sich auch nehmen. Meistens sind es Charaktere mit starkem Fokus auf körperlichen und kämpferischen Talenten, die sich ihr überragendes Können oder ihre Machtbasis zum Anlass nehmen, über andere herrschen zu können und die Dinge zu erhalten, die sie sich wünschen.
Rationalismus: Alles muss für einen rational denkenden Charakter erklärbar sein, mystische Erwägungen werden von einem Rationalisten als unpassend verworfen. Beim Erwerb neuen Wissens und neuer Erkenntnisse wird logisch gefolgert oder durch Versuche untermauert, was man zu beweisen gedenkt. Gerade wissenschaftlich orientierte Charaktere könnten dieser Anschauung folgen.
Konfession: Der Charakter hat aus irgendeinem Grund zu einem Gott oder einem Götterkosmos gefunden und folgt den Richtlinien und Regelungen seiner gewählten Religion. Diese bestimmen ihn auch in seinem Alltag, sodass sich schon dadurch Konflikte mit anderen ergeben können.
2. Ein Traum
Jeder hat sie, Wünsche, die man sich gerne erfüllen würde, Träume, die man gerne erreichen würde. Warum also sollte nicht auch der Charakter über längere Zeit einen Traum entwickeln oder aber mit einem Traum in das Spiel starten? Wie energisch der Charakter die Erfüllung seines Traumes verfolgt, kann durch seine Weltanschauung und seinen persönlichen Leidensdruck in seiner aktuellen Situation beeinflusst werden und ist somit höchst individuell.
Wird aus einem Traum irgendwann vielleicht ein Ziel, das der Charakter über alles andere stellt und das seinen Umgang mit der Umgebung verändert? Oder bleibt dieser Traum eine Vorstellung, in die sich der Charakter flüchtet, wenn seine Realität für ihn belastend oder schwierig wird? Vielleicht gewinnt dieser Traum auch, wenn der Charakter ihn mit anderen teilt, eine so große Strahlkraft, dass sich andere dem Charakter bei der Verwirklichung desselben anschließen?
Der Umgang mit einem Traum kann sich ebenso wie eine Weltanschauung in Momenten ändern, die einen großen Einfluss auf den Charakter ausüben - Lebensgefahr, der Verlust einer geliebten Person, ein großer Gewinn oder Glücksfall, Konfrontation mit Leid und Elend oder einer Kriegssituation im Gesamten und so weiter.
Oder aber der Traum verändert sich, wenn sich grundlegende Dinge im Leben des Charakters verändern, schließlich wächst man aus Kindheitsträumen auch irgendwann einmal heraus und ersetzt diese durch andere, die der neuen Lebenssituation als Erwachsener angepasster sind. Was auch immer sich der Charakter wünscht: es kann sein Handeln und seinen Umgang mit seiner Spielumgebung maßgeblich beeinflussen.
Mögliche Träume könnten umfassen:
Reichtum: Gerade Charaktere aus armen Verhältnissen könnten sich wünschen, irgendwann so viel Geld (oder vergleichbare Wertgegenstände) zu besitzen, um ein Leben in der relativen Sicherheit wohlhabender Personen zu führen. Das kann dazu führen, dass der Charakter auf die schiefe Bahn gerät oder versucht, sich sonstwie ein Vermögen anzueignen - oder aber hart arbeitet, um dieses Ziel irgendwann zu erreichen.
Liebe: Vielleicht hat der Charakter irgendwann eine andere Person kennengelernt und sich unsterblich in sie verliebt, ohne eine Chance zu haben, dieser nahe zu kommen? Oder aber er glaubt an die Liebe und wünscht sie sich innerhalb eines romantischen Ideals für sein Leben? Vielleicht tröstet sich der Charakter auch damit, dass er irgendwann eine Romanze erleben wird, die ganz anders ist als die Ehe, die er führt - hier sind unendlich viele Möglichkeiten vorhanden.
Vergebung: Der Charakter hat in seiner Vergangenheit irgend etwas getan, was er heute zutiefst bereut und am liebsten ungeschehen machen würde. Da dies aber nicht geht, muss er mit seiner Schuld leben und sehnt sich danach, irgendwie Vergebung für sein Tun zu erlangen, egal wie diese aussehen mag.
Freiheit: Egal ob der Charakter ein Sklave ist, im Gefängnis sitzt, in einem restriktiven Gesellschaftssystem lebt oder vielleicht in einer sehr schwierigen Ehe gefangen ist, er wünscht sich mit aller Macht, eines Tages von diesen Zwängen frei zu sein und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Kämpfen für den Traum von der Freiheit: Spartacus und seine Gefährten | Spartacus (Starz) |
3. Ein Geheimnis
Irgendwas verbirgt man immer vor anderen - nichts ist persönlicher als ein Geheimnis, das vielleicht sogar den Charakter in Gefangenschaft bringen könnte, weil er irgendwann in seiner Vergangenheit etwas Schlimmes getan hat. Oder aber der Charakter hegt eine geheime Begierde, die er mit niemandem teilen kann und die seinen gesellschaftlichen Ruin bedeuten könnte, wenn sie bekannt würde. Vielleicht hat sich der Charakter an einer Verschwörung gegen den derzeitigen Herrscher beteiligt und muss fürchten, sein Engagement könnte auffliegen?
Die Möglichkeiten sind mannigfaltig und können von etwas, das dem Charakter schlichtweg nur peinlich ist bis hin zu etwas reichen, das für ihn im wahrsten Sinn des Wortes lebensgefährlich wäre, wenn davon jemand erfährt.
Dabei sollte man sich auch überlegen, wie weit der Charakter geht, um sein Geheimnis zu beschützen und was er tun würde, um Personen, die das Geheimnis aufgedeckt haben, davon abzuhalten, es anderen zu verraten. Hier wäre eine definierte Weltanschauung des Charakters hilfreich, um die Reaktionen genauer abstecken zu können.
Auch die Konsequenzen für die Aufdeckung des Geheimnisses solltet ihr euch dabei auswählen, da jedes Geheimnis irgendwann ans Licht kommt - meistens dann, wenn der Charakter es am wenigsten brauchen kann. Und ein kleiner Hauch von Gefahr kann die Handlungen eines Charakters in sehr vielen Details bestimmen und verändern.
Mögliche Geheimnisse könnten sein:
Vergangene Gewalttaten: Vielleicht hatte der Charakter in seiner Jugend eine Phase, in der er bei einer gewalttätigen Bande war oder aber es gelang ihm, einen verhassten Konkurrenten brutal auszuschalten. Oder er hat sich aus einer Zwangslage befreit, die nur mit Blut bereinigt werden konnte - egal was, irgendwann in seiner Vergangenheit hat der Charakter eine Sache getan, die ihm auch in der Gegenwart noch echte Probleme bereiten würde.
Heimliche Begierden: Egal, ob es eine verbotene sexuelle Begierde, eine verbotene Glaubensrichtung, das Verlangen nach einer Person oder einem Gegenstand ist, der dem Charakter derzeit vorenthalten ist, er sehnt sich mit aller Macht nach diesem und muss gegen diese Begierde täglich ankämpfen. Oder der Charakter war einst suchtkrank und muss versuchen, das auf dem gesellschaftlichen Parkett zu überspielen, um seinen Ruf zu retten.
Scheitern: Irgendwann einmal ist dem Charakter eine Sache richtig misslungen, was größere negative Auswirkungen auf seine Umgebung hatte. Er konnte seine Beteiligung an der Sache vertuschen oder es jemand anderem in die Schuhe schieben, dennoch ist dieser Misserfolg ein großer Makel auf einem ansonsten vorbildlichen Lebensweg und würde den Charakter bei Offenlegung schaden.
Identität: Irgendwann einmal war der Charakter jemand anders und hat es erfolgreich geschafft, sein altes Ich und die damit verbundenen Probleme hinter sich zu lassen. Dennoch kann er des Vergessens seiner damaligen Umgebung nicht vollkommen sicher sein und muss mit dem Risiko leben, einem alten Freund oder Feind wiederzubegegnen.
Etwas entdeckt, das euch helfen könnte? Das einfachste ist, mit der Weltanschauung zu starten, falls ihr diese für eure Charaktere noch nicht gewählt habt, und sich dann über den Traum hin zu einem passenden Geheimnis zu arbeiten.
Auf jeden Fall lohnt es sich, sich tiefgreifendere Gedanken über die Dinge zu machen, die eure Charaktere antreiben und beeinflussen - denn auch in Romanen wachsen uns die Figuren besonders ans Herz, deren Entwicklung, Schwierigkeiten und Sehnsüchte wir verstehen und nachfühlen können.
Ich wünsche beim Erkunden der Tiefen eurer Charaktere auf jeden Fall viel Spaß und hoffe, dass ihr damit interessante Szenen erlebt, die euch und eure Mitspieler bereichern. Es würde mich freuen, wenn ihr in den Kommentaren eure Ideen teilen würdet :)
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