Slogan Nerd-Gedanken
Online-Rollenspiel

Sternenhimmel, Hirntumor, Ben


Eigentlich wollte ich heute einen Artikel über ein Online-Rollenspielevent vom vergangenen Montag schreiben, eine Berichterstattung eines gelungenen Paradenabends aus dem SW:ToR-Militär-RP. Aber ich kann das heute nicht.
Der Grund heißt Ben.
Ben, ein zwanzigjähriger Mitspieler aus eben jener Gilde, bei der ich seit gut eineinhalb Jahren nun auch als einer der Gildenleiter mit fungiere und mich darüber freuen darf, wieviele sehr verschiedene Menschen zusammen gefunden haben, um gemeinsam Rollenspiel im militärischen Rahmen zu betreiben. Charaktere so unterschiedlich und interessant wie die Menschen dahinter. Ben war einer unserer 'Neuen', vor einem halben Jahr für einige Wochen mit dabei, dann meldete er sich wegen der Vorbereitungen fürs Abitur inaktiv.
Prima, dachte ich damals.
Einer, der mit beiden Beinen im Leben steht und einsieht, dass das Lernen fürs Abitur wichtiger ist als alles, was man online sonst noch so tun kann. Im Rollenspiel kam er für mich immer wie jemand 'rüber, mit dem man Spaß haben kann, der auch als Mensch ein netter, freundlicher Typ ist. Unsere Charaktere sind aneinander geraten, aber ich hatte nie den Eindruck, dass sich das Spielgeschehen auf den Umgang unter uns als Spieler ausgewirkt hätte - da gibt es ganz andere Leute.

Vor einigen Wochen dachte ich mir: Hm, so langsam müsste er mal zurückkehren, die Abitur-Prüfungen sind schließlich in allen Bundesländern um. Vielleicht genießt er ja auch seinen Sommer fernab des Rechners, den letzten Sommer, bevor Studium, Ausbildung oder was auch immer anstehen, bevor der Ernst des Lebens beginnt und keine Zeit oder Gelegeheit für gemütliches Gammeln und 'Chillen' mehr ist. Das habe ich ihm gern gegönnt und ihm viel Spaß dabei gewünscht.

Als er gestern abend im Spiel einloggte, während in der Gilde viel los war, freute ich mich darüber, ihn wiederzusehen. Nach einiger Zeit flüsterte er mich ingame an, er müsse der Gilde etwas sagen, aber er wisse nicht genau, wie er es tun solle. Ob ich nicht einen Rat für ihn hätte. Ich fragte ihn, worum es sich handle und wie ich ihm helfen könne. Ich rechnete damit, dass er die Gilde verlassen wolle, woanders spielen, das Game generell aufgegeben habe, und jetzt keine Worte findet, um sich freundlich zu verabschieden.
Es ist ein Abschied, aber ein ganz anderer. Denn Ben hat einen Hirntumor, und die Chancen stehen laut Aussage der Ärzte sehr schlecht, dass die in einer Woche anstehende Operation und die geplante Chemotherapie etwas bringen werden. 

Was antwortet man jemandem, der einem so etwas erzählt? Gibt es für einen Hirntumor, der einen Zwanzigjährigen aus dem Leben zu reißen droht, überhaupt die richtigen Worte? Wenn ja, dann kenne ich sie nicht und versuchte, mit Zuversicht und Optimismus zu helfen. Ich will daran glauben, dass er es schafft, dass er aus dieser Sache herauskommt und sein Leben weiterleben kann.

Ich will daran glauben, dass es für ihn noch nicht zuende ist, dass da noch mehr Jahre und unendlich viel mehr Erlebnisse auf ihn warten. Dass er Liebe erlebt, Freundschaften erlebt, Zusammenhalt, Freundlichkeit, Mitmenschlichkeit. Dass er Verständnis erfährt, wenn er welches braucht, und einen guten Rat erhält, wenn er selbst nicht mehr weiter weiß. 

Ich würde mir auch wünschen, diese winzig kleine Stimme im Hinterkopf nicht zu haben, die Zweifel anmeldet. Das Internet ist groß, und ich habe ein paar Mal erlebt, dass Menschen ihren Tod inszeniert haben, um aus einer geglaubten Verpflichtung einer Community gegenüber ohne weitere Anstrengung herauszukommen. Das letzte Mal dieser Art ist gerade mal zwei Jahre her und war für die Personen, die enger mit der tödlich verunglückt geglaubten Person zu tun hatten, eine ziemlich grausame Sache.
Denn der Tod macht uns hilflos. Der Tod ist ein Problem, das man nicht durch Handlung lösen kann. Er beantwortet unsere Fragen nach dem Warum nicht. Er passiert. Und dann muss man damit irgendwie zurecht kommen. 

Will ich jetzt lieber Bens Geschichte Glauben schenken oder hoffen, dass jemand aus welchem Grund auch immer eine seltsame Story erzählt, um nach Beachtung zu heischen?
Ich habe mich dafür entschieden, ihm zu glauben. Ein kurzer Anflug des Misstrauens sollte erlaubt sein, und die Worte, die er dann nach ein wenig Ermutigung im Gildenforum für die Mitglieder hinterließ, wirken für mich aufrichtig und glaubhaft. Wie der Erkenntnisprozess eines Menschen, der sich mit einer möglichen Konsequenz auseinandersetzen muss, die anderen glücklicherweise erspart bleibt.

Ben hat der Gilde einige Fragen gestellt, die er sich selbst sicherlich auch eins ums andere Mal stellen musste. Fragen, denen man sich im realen Leben ungern stellt. Meistens nur dann, wenn man einen nahen Verwandten und/oder geliebten Menschen verloren hat und das Thema damit akut ist, die man aber ansonsten unter den Tisch fallen lässt. Fragen, denen er jetzt nicht mehr ausweichen kann:
Was ist der Tod für Euch?
Habt Ihr Angst davor?

Er schreibt, das Schlimmste am Tod sei für ihn das Vergessen. Dass sich niemand, wenn er den Tumor wirklich nicht überleben würde, an ihn erinnert. Niemand sagen würde: "Hey der Ben, der war nett! Den mochte ich! An ihn werde ich mich erinnern."

Wenn ich ehrlich bin, dann ist das auch einer der Aspekte am Sterben, der mir Furcht bereitet. Dass all diese gelebten Jahre - bald sind es doppelt so viele, wie Ben schon auf dieser Welt weilt - irgendwie keinerlei Fußspur im Verlauf der Geschichte hinterlassen.
Dass die ganzen Gedanken, Ideen, die Versuche, anderen ihr Rollenspiel ein bisschen zu erleichtern und zu erweitern, vergessen sind, sobald der letzte Atemzug getan ist. Genau deswegen schreibe ich heute nicht über ein Event, denn Events wird es sicherlich noch viele geben. 

Wie lange es Ben jedoch noch geben wird, weiss ich nicht. 
Aber ich bin sehr froh, dass er seine Worte gefunden hat, um den Mitspielern aus der Gilde von sich und seinem Weg zu berichten, und ebenso froh, dass die Mitspieler ihm freundlich, respektvoll und anteilnehmend geantwortet haben. Er hat sich über die bisher formulierten Antworten gefreut, mir gesagt, dass er froh ist, seinen Text verfasst zu haben. Man kann herzlich wenig für einen Menschen tun, der irgendwo in Deutschland sitzt und so eine Sache mit sich herumschleppen muss. Aber Anteilnahme und Mitgefühl sollten immer drin sein.
Es gibt auch bei einem bloßen Online-Rollenspiel etwas wie soziale Verantwortung, ein menschliches Miteinander. Wenn man begreifen will, dass eine Gemeinschaft, selbst wenn sie nur aus dem Online-Abdruck real existierender Menschen besteht, mehr ist als ein bloßer Contentlieferant, den man wie eine Fernsehsendung konsumiert und dann ausschaltet.

Ben schrieb auch, er wünsche sich ein angemessenes Ende für seinen Soldatencharakter, ein schönes Begräbnis. Mir würde es jedoch viel besser gefallen, wenn dieser Charakter nicht sterben würde, sondern im Bewusstsein und im Spielalltag der Gilde als NPC präsent bliebe. Damit die Erinnerung wachgehalten wird und bei jedem Auftauchen dieses Charakters einen kurzen Moment an den Menschen denkt, der ihn einmal erschuf. 

Ich will daran glauben, dass die Operation gelingt. Dass Ben die Chemo übersteht und sie die gewünschte Wirkung hat. Dass sein Leben gerettet wird und weitergehen kann, damit die vielen Dinge, die da noch warten, für ihn Realität werden können.
Dass er sich auch weiterhin den Dingen widmen kann, die er mag. Ein Studium und eine Karriere als Psychater auf ihn warten. Momente unter dem freien Himmel, in denen er die Sterne betrachten kann. Momente mit seinem besten Kumpel, dem es immer gelingt, ihn zum Lachen zu bringen. Momente im Rollenspiel, die er mit Menschen genießen kann, die gemeinsam mit ihm Spaß haben wollen.

Und wenn alle Hoffnungen und Wünsche, das Daumendrücken und die ärztliche Kunst versagen sollten, dann kann ich mit Überzeugung sagen: Hey, der Ben, der war sehr nett. Den mochte ich. An ihn werde ich mich erinnern.

Über Gloria H. Manderfeld

2 Eure Meinung zu den Nerd-Gedanken:

  1. Ein betroffen machender Beitrag. Dein Anflug von Misstrauen soll Dir verziehen sein, denn selbst wenn es nicht stimmen würde, hast Du nichts verschwendet.
    Denn in diesem Moment warst Du für jemanden da, der es brauchte.
    In meinem Freundeskreis gab es ein Mädchen, ein RP Nerd, so wie ich. Ich kannte sie quasi seit ihrer Geburt. Die Tochter meines besten Freundes.
    Ihre Tage waren gezählt, und sie wusste es.
    Und ich erinnere mich gut daran, wie wichtig es ihr war, von allen Freunden, Familie sowie auch "virtuellen Spielkameraden" Abschied zu nehmen. Und wie gut Ihr die Besuche und Gespräche, im RL aber auch mit all jenen im Spiel, in ihren letzten Tagen taten.
    *drücke Eurem Soldaten ebenfalls fest die Daumen*

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    1. Danke für Deine freundlichen Worte - ich hoffe einfach, dass das Echo auf seine Worte Ben geholfen hat und weiterhin hilft. Laut eigener Aussage hat er sich über das, was wir ihm schrieben, jedenfalls sehr gefreut. Ab jetzt beginnt dann das Daumendrücken.

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