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Persönliches

Manche Muse ist eine miese Möp


Es gibt diese Tage, an denen ich einfach nur den Kopf schüttle. Beispielsweise, wenn sich Indie-Autoren bei einem Plagiat erwischen lassen und die Erklärung für ihr Tun bestenfalls dürftig ist. Schon beim Skandal um Martia Gehrke, einer Frauenromanautorin, deren hochgejubelter Erstling belegbar Textbausteine aus erfolgreichen verlagsveröffentlichten Chicklit-Romanen beinhaltete, die sie angeblich während des Schreibprozesses als Platzhalter einsetzte, um dann später zu wissen, wie sie eine bestimmte Szene schreiben wolle, war ich von der Kreativität der Ausrede beeindruckt.
Katja Piel, die durch ihre paranormalen Romanzen bekannt wurde, hat vor einigen Tagen etwas ähnliches zugegeben - nämlich die Veröffentlichung eines kompletten Textes unter ihrem Namen, den sie selbst nicht geschrieben hat. Die überraschende Erklärung lautet, sie habe den in einem vor etwa dreissig Jahren erschienenen Heftroman gedruckten Text für Schreibmaschinen-Fingerübungen verwendet und ihn nach dem Wiederfinden für ein eigenes Werk gehalten, das dann prompt per Amazon an den lesewilligen Kunden weitergereicht wurde.

Es ist eine Aussage, die mich nachdenklich gemacht hat. Könnte mir so etwas auch passieren? In einem riesigen Haufen unveröffentlichter Texte einige zu finden, an die ich mich nicht genug erinnere, um mit absoluter Sicherheit zu wissen, dass sie von mir stammen?
Meine einfache Antwort darauf: Nein. Ich wüsste es, und das liegt darin begründet, wie ich schreibe und warum ich schreibe. Klar, jeder Autor möchte damit Geld verdienen, am Besten viel davon. Am Liebsten eine riesige Fangemeinde haben, die nach jeder Zeile lechzt, die man verfasst, und einem neue Romane aus den Fingern reißt, sobald man diese irgendwo auf den Markt geschoben hat. 

Es ist absolut normal, dass sich jeder Mensch in seinem Beruf Erfolg wünscht. Bei Autoren resultiert er neben verkauften Büchern und einem hoffentlich erreichten Lebensunterhalt auch in einer gewissen Medienpräsenz und öffentlichen Aufmerksamkeit, die andere Berufe nicht beinhalten. Die wenigsten Automechaniker werden dafür interviewt, ein Auto besonders gut durch die Inspektion gebracht zu haben, Buchhalter erhalten keine Preise dafür, dass sie eine saubere Bilanz hinbekommen, die allen Überprüfungen standhält. 
Aber viele 'normale' Jobs haben auch den Vorteil, dass man sie beim Nachhausekommen abstreifen kann. Nach acht Stunden Arbeit kann man sich, sofern es eine halbwegs brauchbare Arbeitsumgebung ist, anderen Dingen zuwenden und hat den Kopf dafür frei. Man kann entspannen, betrachtet neue Filme und Bücher vor allem nach ihrem Unterhaltungswert und tankt in den meisten Fällen während der Nicht-Arbeitszeit genug Kraft für den kommenden Tag.

Kreativität ist ein permanenter Datenstrom


Als Vollblutkreativer hat man diese Freiheit nicht. Die Ideen kommen zu jeder Zeit, egal ob es einem passt oder nicht. Es ist ein permanenter Datenstrom, der in der eigenen Gedankenwelt kreist, den man weder abschalten noch erleichtern kann. Man kann nur versuchen, ihn zu kanalisieren, Dinge zu erschaffen, um einen Teil dieses Drucks wieder loszuwerden. Dann entstehen wunderbare Gedichte, Geschichten, Bilder, Musikstücke - oder, und das ist weitaus häufiger der Fall - Fragmente, die man erst durch Überarbeitung, Nachdenken und viel Zeit und Geduld zu etwas wirklich brauchbarem formen kann. 
Die Ideen an sich sind nicht das Problem, sondern die Zeit danach, in der man aus einer Idee etwas formt, das andere Menschen begreifen, annehmen und verwenden können. Bei einem Koch würde man sagen, das ist der Zeitraum, in dem aus den einzelnen, vorgeschnittenen Zutaten ein hoffentlich köstliches Gericht gekocht wird. Ob das Gericht danach gut beim Gast ankommt, weiß man als der Kreative vorher nicht - ein Koch kann das angesichts Geruch, Aussehen und Geschmack viel leichter feststellen. 

Diese Möglichkeit hat man als Autor nicht. Klar kann man Texte vorher an Freunde und Testleser weiterreichen und hoffen, dass deren Votum hilfreich ausfällt. Oder ein Lektor darf sich durch das Geschriebene durchackern und den Text aufzupolieren helfen. Aber ein Garant für einen Erfolg ist auch das nicht - Erfolg hängt nicht zwangsläufig an handwerklichen Kriterien.
Ich selbst würde bei Romanstoff niemals eine Fanfiction nutzen, die eine bereits vorhandene Story einfach nur in anderer Form, aber vielen Parallelen nacherzählt. Das war den begeisterten Lesern von "Shades of Grey" allerdings egal und die erfreuten sich mit großer Begeisterung an der BDSM-Version von 'Twilight'. 
Voraussagen lässt es sich einfach nicht, ob und was Erfolg haben wird, und das führt zu einer permanenten Unsicherheit, gegen die man als Autor anschreiben muss. Ist das, was man schreibt, überhaupt etwas, das andere lesen wollen? Denn wenn sie es nicht lesen wollen, verdient man in den meisten Fällen kein Geld, und das ist schlecht, wenn man von irgend etwas leben möchte. Den wenigsten Autoren fallen perfekte Bücher einfach zu - zu 99% ist das einfach nur harte Arbeit und viel Disziplin.

Schreiben ist eine einsame Kunst


Ich glaube nicht, dass ein Automechaniker mit einem Grundzweifel über den Erfolg und die Qualität seiner Arbeit den Schraubenschlüssel hebt, um einen Motor auszubauen und auf Funktionalitäten zu überprüfen. Wenn dieser mit seinem Latein nicht weiterkommt und den Fehler nicht finden kann, kann er einen Kollegen fragen oder einen Spezialisten - aber bei einem Text, der vornehmlich im eigenen Kopf existiert, ist das sehr schwer. Über viele Aspekte der eigenen kreativen Arbeit kann ich mit niemandem sprechen. Auch mit anderen Autoren nicht, die können mir schließlich nicht in den Kopf schauen. Sicher, man kann sich über Plotlines austauschen oder über Vertragsverhandlungen mit Verlagen. 
 Aber das konkrete Problem, die Angst, die Panik vor dem Ausbleiben von Verkäufen, die Wut über eine schlechte Rezension, die Verletzung bei unsachlich geäußerten Gedanken über das eigene Kreativprodukt, die muss man selbst tragen und ertragen lernen. Ich glaube, es war Hemingway, der einmal sagte, man müsse als Autor vor allem mutig sein. Aber auch wenn dieser Gedanke nicht von ihm stammen sollte, so steckt viel Wahres darin: denn jeden Tag mit diesem Zweifel leben und dagegen angehen erfordert viel Mut. Es ist ein Druck, der für andere unsichtbar bleibt und schwer zu erklären ist. Dennoch existiert er. Ebenso wie diese Tage, an denen man eigentlich liefern müsste und alles, was man anfasst, totaler Müll wird. Das musste ich zu akzeptieren lernen und mache dann an solchen Tagen eben etwas anderes.

Menschen, die einen auf dem eigenen Lebensweg begleiten, müssen einen geistesabwesenden Kreativen ertragen, jemanden, der für gewöhnlich mit dem Kopf ganz woanders ist als der Rest der Welt. Der nicht abschalten kann und vielleicht sogar für Tage oder Wochen innerlich ganz woanders ist als diese. Der Launen hat und aus unerfindlichen Gründen schlecht drauf ist oder zum Himmel jubelt, weil eine Sache genau so geklappt hat, wie man sie sich vorgestellt hat. 
Das erfordert Mut und noch viel mehr Geduld von der Umgebung. Es stellt Beziehungen auf eine Art und Weise auf die Probe, die andere Leute nicht einmal erleben. So wundert mich nicht, dass viele Kreative zu Suchtverhalten neigen, denn das betäubt den Zweifel und die Furcht davor, es nicht zu schaffen, die eigenen Ansprüche und die der Umgebung zu befriedigen. Der Kritiker im eigenen Inneren, der einen permanent an die eigenen Unzulänglichkeiten erinnert, wird damit leiser oder verstummt ganz. 

Der ewige Zweifel endet nie


Gerade wenn ich Fragmente überarbeite und ausforme, höre ich meinen Kritiker besonders laut. Wenn ich mir die Frage stelle, ob die gewählte Richtung die richtige ist. Ob ein Projekt, bei dem ich weiss, dass ich noch über Tage und Wochen bearbeiten werde, sich am Ende überhaupt auszahlt. Eine gute Menge Demut habe ich über den Jahreswechsel lernen müssen, als ich mich an eine Kurzgeschichte setzte, die für eine Anthologie gedacht war. Sie war sehr persönlich, griff ein Erlebnis aus meiner Lebensgeschichte heraus und ich dachte, es würde mir, da ich ja schon genau wusste, wohin die Reise gehen würde, sehr leicht fallen, diese zu schreiben.
Das genaue Gegenteil war der Fall - quälende zwei Wochen eines vorsichtigen Kurses, bei dem ich immer wieder überlegte, ob der Gedanke, den ich bei einer Szene hatte, wirklich auch richtig formuliert war. Ob die Stimmung so transportiert wird, wie es notwendig ist, damit die Geschichte funktioniert. Ein beständiges, schlechtes Gefühl im Bauch, weil dieser Zweifel einfach nicht verstummen wollte und mit jedem Tag, an dem ich nur wenige Zeilen voran kam, größer wurde. 

Ich war sehr erleichtert, als ich endlich den Endpunkt erreicht hatte. Dieses Gefühl kam, dass die Story wirklich fertig ist, ich alles gesagt hatte, was ich sagen wollte. Die Überarbeitung war sehr kurz und korrigierte Rechtschreibfehler und die Satzbaumängel, die ich immer wieder habe, wenn ich aus dem Bauch heraus schreibe. Und - soviel kann ich schon sagen - die Story wird auch erscheinen, wie erhofft in eben der Anthologie, für die sie geschrieben wurde. 
Ich habe gejubelt, als die Herausgeberin mir die gute Nachricht brachte. Momentan macht mein innerer Kritiker einen Sandstrandurlaub und trinkt Cocktails, aber ich weiss genau, er wird bald wieder da sein und mich sehr genau ansehen. Es geht aber auch nicht ohne, denn dieser Kritiker zwingt mich zur Arbeit mit Herzblut und dazu, das beste Ergebnis zu erzielen. 

Ich schreibe nicht so schnell wie viele andere, auch wenn man das heutzutage vermutlich tun muss, um als Indie-Autor in absehbarer Zeit in die Erfolgskurve einzuschwenken. Aber das führt auch dazu, dass ich meine Texte sehr gut kenne und auch nach Jahren noch weiss, woran ich wirklich sehr gekämpft habe und welche Passagen einfach nur von Anfang an perfekt liefen. 
Deswegen fällt es mir schwer, Erklärungen wie die von Katja Piel zu glauben, selbst wenn ihr das vielleicht tatsächlich passiert ist  - und deswegen regen mich solche Fälle von bewiesenen Plagiaten auch auf. Denn Verhalten wie dieses schlägt auf alle anderen Indie-Autoren nieder, die den schweren Weg unabhängiger Veröffentlichungen gehen und sich ernsthaft um alles bemühen, was sie schreiben.

Die sich mit solchen Vorwürfen auch messen lassen müssen, auch wenn wirklich alles, das sie veröffentlichen, aus eigener Feder und Arbeit stammt. Ja, der Druck von eifrigen Lesern und Leserinnen kann sehr hoch sein, vor allem, wenn die Erfolge von Büchern auf dem Markt immer kurzlebiger werden und es immer mehr Konkurrenz gibt.
Man muss mutig sein als Autor und zu sich selbst stehen, zum eigenen Arbeitstempo und dem, was man schreiben kann und will. Und dann erlebt man sie, diese Momente, in denen man plötzlich einfach weiss, dass es alles richtig ist. Dass man etwas geschafft hat, und dass es eigentlich der tollste Job der Welt ist, ganz gleich, wieviel er einen kostet. Manche Muse ist eben eine miese Möp und man muss sie elend treten, damit das herauskommt, was man will ...

[Das Titelbild heute stammt übrigens von Alphonse Mucha - 'Poetry', eines der Bilder aus seinem Musen-Zyklus]

Über Gloria H. Manderfeld

6 Eure Meinung zu den Nerd-Gedanken:

  1. Sehr, sehr schön geschrieben.
    Wer wissen will, wie sich so ein Autor fühlt, braucht nur diesen Artikel zu lesen. *thumbs up*

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    1. Vielen lieben Dank :) und ja, auch für diesen Text hat es eine Weile gebraucht, bis die Worte alle da waren :D ich schätze mal, das werde ich einfach nicht los.

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  2. Danke für diese wunderbaren Worte - auch wenn der Auslöser weniger schön ist. Genau getroffen!

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    1. Gerne :) ich hoffe, es hilft ein bisschen, Nicht-Kreativen zu erklären, dass es nichts mit ihnen zu tun hat, wenn der Kreative in ihrem Leben geistesabwesend ist. Oder schwierig. :)

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  3. Sehr schöner Beitrag.

    Hast mir in vielen Absätzen aus der Seele gesprochen.
    Ich gehöre noch nicht lange zu den "Vollblut-Kreativen", da ich mich immer wieder von anderen Anbietern der Unterhaltung hab "betäuben" lassen. Als Teenager hatte ich hin und wieder geschrieben, gemalt - dann im Beruf nichts mehr von dem getan.
    Irgendwann entschied ich, meine Ideenfragmente ernster zu nehmen und diese gedeihen zu lassen. Bisheriges Ergebnis ist mein Blog, mein angefangenes Buch und ich habe wieder angefangen zu malen. Doch merke ich täglich die wachsende Gedankenflut, die mich im Alltag heimsucht, die Träume und die wenige Zeit, die mir zur Verfügung steht um all das aufzuschreiben.

    Ständig stehe ich unter Strom und es ist schwierig, einfach nur mal abzuschalten. Man setzt sich auch selbst häufig unter Druck, wie du es auch schon oben erwähnt hast.

    Viel Erfolg weiterhin Gloria!

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    1. Dankeschön :) und ich denke, es ist vor allem wichtig, dass man etwas macht, dass man sich immer wieder mit Dingen beschäftigt, die helfen, den Ideenstrom ein bisschen einzudämmen. Das heisst, darin bewusst die Erfüllung zu suchen und zu finden, die einem hilft, weiterzumachen und Spaß dran zu haben :) Und das tust Du ja - also immer weitermachen :)

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