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Dystopie

Rezension: The Circle


Mae Holland ist überglücklich: durch die Vermittlung ihrer ehemaligen Schulfreundin Annie hat sie ein Vorstellungsgespräch bei »The Circle« ergattert, dem hippsten und besten Unternehmen weltweit. Durch sein soziales Netzwerk TrueYou groß geworden, bietet »The Circle« inzwischen eine Vielzahl digitaler Social-Media-Dienstleistungen an und ist aus dem täglichen Leben vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. 
Tatsächlich wird Mae in die Kundendienst-Abteilung übernommen und lernt schnell, dass es neben einer gut erledigten Arbeit vor allem darauf ankommt, von den Kunden möglichst gut bewertet zu werden. Auch ihre Eltern profitieren von Maes neuem und sehr gut bezahlten Job, da Maes MS-kranker Vater über sie in die firmeneigene Krankenversicherung hinein kommt.

Doch nicht nur die Performance bei der Arbeit ist bei »The Circle« wichtig: der riesige Campus des Unternehmens bietet eine große Menge an möglichen Freizeitaktivitäten, an denen die Teilnahme zwar freiwillig ist, man aber nur bei Anwesenheit wichtige Punkte für das firmeninterne Beliebtheitsranking erhält.
Nur dann ist ein Angestellter wirklich Teil dieses so innovativen, jung wirkenden Unternehmens und kann sein volles Potential entwickeln, wie es auch Maes Ziel ist. Allerding bemerkt sie nicht, dass sie immer weniger Zeit mit ihrer Familie und ihrem guten Freund Mercer verbringt, »The Circle« ist längst dabei, Maes Aufmerksamkeit und Energie vollständig zu absorbieren ..


Längst wird das tägliche Leben vieler Menschen durch Internetgiganten wie Google, Facebook, Twitter und andere Dienste, mit denen sie sich anderen mitteilen können, einerseits bereichert, andererseits bestimmt.
Das fiktive Unternehmen »The Circle« geht noch einen Schritt weiter und bietet eine Dienstleistung, bei der Menschen all ihre wichtigen Accounts wie Social Media, Bankdienste und vieles mehr auf nur einem einzigen, an ihre reale Person gebundenen Account führen können, um sich das Leben enorm zu erleichtern.

Was zunächst wie eine gigantische Lösung vieler Alltagsprobleme wirkt, wirft jedoch schnell Fragen auf: wenn ein einziges Unternehmen Zugang zu so vielen Daten hat, was wird es damit wohl anstellen? Wie glaubhaft ist das durch die Führungspersonen vorgegebene Motto der Transparenz wirklich? Und: wie weit wird ein Unternehmen noch in der Überwachung des täglichen Lebens gehen, wenn es nicht gestoppt wird oder nicht mehr gestoppt werden kann?

Dazu muss ich bemerken, dass ich das dem Film zugrunde liegende Buch »The Circle« von Dave Eggers noch nicht gelesen habe, also keine Vergleiche zu diesem anstellen werde, sondern mich einzig auf die Möglichkeiten und Qualitäten des Films beschränke. 
Das Thema des Filmes ist indes nicht nur seit dem ans Licht gekommenen Datenskandal um Facebook im Zusammenhang mit Cambridge Analysis brandaktuell: eine Generation, welche mit der Allgegenwart von sozialen Medien, Smartphones mit ständigem Internetzugang und der stetigen Entblößung privater Details im öffentlichen Raum aufgewachsen ist, wird zwangsläufig eine ganz andere Einstellung zur Privatsphäre haben als Menschen, die noch wissen, wie es ist, nicht ständig erreichbar zu sein oder erreichbar sein zu müssen.


Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem »The Circle«-Gründer Eamon Bailey (gespielt von Tom Hanks) mit "SeeChange" eine winzige Kamera der Weltöffentlichkeit vorstellt, die gestochen scharfe Live-Bilder auf die »Circle«-Server sendet und welche man durch ihre kleine Größe praktisch überall anbringen kann, dürfte sich jeder halbwegs kritische Mensch denken können, dass die beschworene größere Freiheit auch die Kehrseite allgegenwärtiger, kaum bewusst wahrnehmbarer Überwachung hat.

Dabei werden im Film reichlich Trophen benutzt, die auch zum Vorgehen religiös angehauchter Sekten passen: Mitglieder werden systematisch von ihrer Familie und Freunden abgenabelt, müssen sich ständiger interner Kontrollen und Überwachungsmöglichkeiten unterziehen, ohne das zunächst als negativ zu empfinden, verwenden sprachliche Begriffe, welche für Menschen ausserhalb der Einflussphäre der Sekte keinerlei Bedeutung haben – und widmen sich den Zielen der Sekte mit ungebrochener Energie und Leidenschaft, entwickeln die Sektenidee selbsttätig sogar noch weiter.


 Das alles trifft im hohen Maß auf die Hauptfigur Mae Holland zu, welche zunächst vor allem bei »The Circle« arbeiten will, da der offerierte Verdienst, die Krankenversicherung und alle sonstigen Leistungen des Unternehmens weit besser sind als alles, was sie bislang erlebt hat. Anstelle aus den immer übergriffiger werdenden Handlungen einzelner Unternehmensvertreter in ihren privaten Raum zu lernen und auf Abstand zu gehen, verstrickt sich Mae immer mehr in das Geflecht aus Gemeinschaft, Kontrolle und vermeintlich positiver Transparenz, welche im Grunde nur in maximale Überwachung mündet.

Dabei wird leider nicht wirklich klar, was Mae zu ihren Entscheidungen antreibt. Beispielsweise trinkt sie bei der Eingangsuntersuchung in der »Circle«-Krankenstation ein grünes Smoothie, bei dem ihr erst später überhaupt gesagt wird, dass sich darin ein Vitalsensor befand, der künftig die Überwachung ihrer Biofunktionen und -werte erleichtern wird -  auch weitere starke Impact-Momente lassen sie nicht darin innehalten, sich einer nicht näher bestimmbaren Weltöffentlichkeit und natürlich auch den neugierigen Augen des Unternehmens zu öffnen. 
Diese Anpassung geht sogar so weit, dass sie selbst Sinnsprüche wie »Geheimnisse sind Lügen« als neue Weisheiten formuliert. Emma Watsons Darstellung der Mae bleibt bestenfalls routiniert und erleichtert keine positive Identifikation mit dem Charakter, aus deren alleinigem Blickwinkel die »Circle«-Geschichte erzählt wird. Trotz aller Öffnung verbleibt bis zuletzt eine fühlbare Distanz, da dem Zuschauer zwar gezeigt wird, was Mae tut, aber nicht erklärt wird, was sie zu ihrem Handeln motiviert.


Auch Tom Hanks, Patton Oswalt und John Bogeya in ihren jeweiligen Rollen als »Circle«-Firmengründer bieten allenfalls Abziehbilder ihrer jeweiligen Funktion. Hanks gibt einen durchschnittlichen Steve Jobs für Arme, Tom Stenton lässt als aalglatter Businessmann den Zuschauer schon recht schnell vermuten, dass bei »Circle« irgendwas faul ist und Bogeya erfüllt die »People of Color«-Quote der amerikanischen Filmindustrie mit der Rolle als Tyler Lafitte, dem vorgeblich geläuterten Programmiergenie, welches letztlich jedoch nicht genug eigene Agenda zu haben scheint, um wirklich etwas zu verändern.

Bei all den schönen, modernen Bildern – gerade der »Circle«-Campus wird sehr oft und ansprechend in Szene gesetzt – bleibt der Film leider weit hinter seinen Möglichkeiten zurück und lässt viel zu viele Fragen offen: Warum versuchen Maes Eltern und ihr Freund Mercer nicht wirklich, sie dem Einfluss der »Circler« zu entreißen, sondern gehen einfach nur auf Abstand?
Warum scheint es »The Circle« so vergleichsweise simpel möglich, auch die politische Welt zu infiltrieren, ohne dass sich ernsthafter Widerstand regt? Warum gibt es niemanden, der außer der schwer von der Last ihres Jobs gebeutelten Annie tatsächlich merkt, was »Circle« in Wahrheit ist und welchen Einfluss es bereits gewonnen hat? Warum zieht Mae im Grunde aus allem, was ihr und anderen aus ihrer Umgebung passiert, permanent die falschen Schlüsse?


Wenn das Ziel des Filmes war, einen Zuschauer zum Denken anzuregen, ist zumindest das bei mir erreicht – aber ich hätte eine wesentlich schärfere, härtere Kritik an den durchaus auch im realen Leben belegten Konzernmethoden Googles, Apples und Konsorten erhofft, wesentlich mehr Konflikte zwischen der langsam aber sicher abrutschenden »Sektenjüngerin« Mae und ihrer eigentlichen Lebensumgebung, eine wesentlich emotionalere Wirkung der gesamten Handlung.
So bleibt »The Circle« trotz Topbesetzung leider enttäuschend flach und hinterlässt ein hohles Gefühl an einer Stelle, die viel mehr Aufbegehren, viel mehr Kritik, viel mehr harsche Worte erfordert hätte, um wirklich den Anspruch eines einer unmenschlich agierenden Industrie vorgehaltenen Spiegels zu erfüllen.

Fazit: Ansatz der Kritik an den Methoden der Social-Media-Giganten, leider viel verschenktes Potential. Fünf von zehn möglichen Punkten.

Filmdetails:
Titel: The Circle
Originaltitel: The Circle
Erscheinungsjahr: 2017
Länge: 110 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: James Ponsoldt
Darsteller: Emma Watson, Tom Hanks, Karen Gillian, Glenne Headley, Bill Paxton, John Bogeya, Patton Oswalt, Ellar Coltrane, Pooma Jagannathan, Mamoudou Athie, Ellen Wong

Über Gloria H. Manderfeld

2 Eure Meinung zu den Nerd-Gedanken:

  1. Ave,
    ich hatte den Film vor einigen Monaten im Kino gesehen und erinnere mich noch gut daran, welchen Rant ich meiner Mitbewohnerin auf dem Heimweg um die Ohren gehauen habe. Gerade am Ende, als ich dachte: "Na, kommt jetzt endlich mal ein eindeutiges "Und die Moral von der Geschicht"?" war ich sehr enttäuscht. Es fühlte sich für mich einfach so an, als würde da irgendwie ein gutes Stück fehlen.
    Eigentlich müsste man das Buch allein aus dem Grund mal lesen: Um zu sehen, ob die Vorlage auch so unvollständig wirkt.

    Es ist auf jeden Fall beruhigend, dass es bei dem Film nicht nur mir so geht.

    Liebe Grüße
    Seitenfetzer

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    1. Das war der Film an unserem 'heute gucken wir mal Filme'-Abend, auf den ich mich am meisten gefreut hatte, und der mich auch am meisten enttäuscht hat. Wäre ich dafür im Kino gewesen, ich hätte mich vermutlich noch viel mehr aufgeregt. Irgendwie ist der Film trotz der großartigen Bilder einfach so viel verschenktes Potential -.- Das Buch zum Film will ich inzwischen unbedingt lesen ...^^ so panne wie der Film kann es nämlich nicht sein ...

      Liebe Grüße zurück ;) ich hoffe, Du hast die eisige Buchmesse inwischen gut verdaut!

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