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Fantasy

Warum die Frage nach mehr Frauen in der Phantastik die falsche Frage ist


Vor einigen Tagen hat eine Diskussion auf dem dritten Treffen des Phantastischen-Autoren-Netzwerks (PAN) e.V. in Köln einige Wellen geschlagen - Thema waren Rassismus und Sexismus, bei dem besonders auch die Repräsentanz von weiblichen Figuren, aber auch Autorinnen in der Phantastik angesprochen wurden. In seinem Artikel "Brauchen wir mehr Frauenfiguren in der Phantastik?" hat Professor Dr. Lars Schmeink Interessierte zum Dialog aufgerufen, was prompt von Lena Falkenhagen ("Gibt es zu viele Frauen in phantastischer Literatur?"), Beate Lampe ("Welche Stereotypen von Weiblichkeit reproduziert werden, wenn Fantasy für Männer gemacht wird") und anderen aufgenommen wurden - weitere Themenlinks finden sich in den Kommentaren zum Ursprungsartikel.

Ich möchte die eigentliche Frage nach mehr Frauen in der Phantastik mit dem Ruf 'das ist die falsche Frage' beantworten - denn die phantastische Literatur wird nicht diverser, nicht bunter, nicht abwechslungsreicher, wenn weibliche Charaktere zwar verstärkter vorhanden sind, sie aber nichts weiter sein dürfen als eine mit männlichen Verhaltensweisen versehene Helden mit Brüsten (wie es stark in die Charaktergestaltung der Kara Thrace in 'Battlestar Galactica' eingeflossen ist). Auch mehr Autorinnen werden der Entwicklung der Phantastik nicht weiterhelfen, wenn man von ihnen erwartet, genau dasselbe zu schreiben wie die männlichen Kollegen. 
Gerade die deutsche Verlagsszene hat einen furchtbaren Hang dazu, vor allem Bücher verkaufen zu wollen, bei denen ein sehr erfolgreicher Vorbild-Roman vermuten lässt, dass sich alle anderen "Me too"s sich ebenso gut verkaufen werden, weil eine vermutete neue Leserschaft erschlossen scheint. Bestes Beispiel stellen hier die vielen Iterationen des "50 Shades" und "Vampir"-Stoffes dar, die in den letzten Jahren in schier unendlich scheinender Flut die Buchhandlungen verstopft haben.

Aus meiner Leseerfahrung stößt mir jedoch weniger das Fehlen oder ein geringeres Vorhandensein von weiblichen Haupthelden auf - denn gerade die Phantastik bietet inzwischen längst ein sehr breites Spektrum an potentiellen Identifikationsfiguren weiblichen Geschlechts - sondern das stetige Wiederkäuen von altbekannten Erzählformen, bei denen die Heldin alleine durch das Vorhandensein eines männlichen Charakters definiert und herausgefordert wird.
Beispiele gefällig?

1. Vergewaltigung als charakterbildende Maßnahme
Sehr häufig, wenn ein weiblicher Held in Gefangenschaft gerät, vor einem bösen männlichen Oberschurken steht, sich mit einem brutalen Hindernis auseinandersetzen muss, entwickelt sich die Spannungssituation in eine Vergewaltigung. Aus dieser nimmt die Heldin entweder das volle Spektrum an Trauma mit und muss dieses lange aufarbeiten, oder aber sie schüttelt das Erlebnis schnell ab und rächt sich irgendwann an ihrem Peiniger.
Gerade in Kriegszeiten und von physischer Gewalt geprägten Konflikten gibt es so unendlich viel mehr an Möglichkeiten für Verletzungen, die einen Charakter gleich welchen Geschlechts prägen und weiterentwickeln können, nur bei Frauen endet das Ganze in der Regel mit ausgeübter sexueller Gewalt. Obwohl die Erzählung zumeist auch funktionieren würde, wenn eine andere Verletzungsform gewählt würde - schließlich funktioniert das bei unzähligen Geschichten, in denen ein männlicher Held Gewalt erfährt, verletzt aus einer Gefangenschaft flüchten oder Verletzungen wegstecken muss, hervorragend.

2. Romanze als Hauptantrieb für die Heldin
In den allermeisten phantastischen Geschichten gibt es irgendeine Lovestory - zumindest, wenn ein weiblicher Held mit von der Partie ist. Wenn Männer erkundend, forschend, kämpfend und erobernd durch phantastische Lande ziehen, scheint auch mal ein flüchtiges sexuelles Abenteuer vollkommen auszureichen, um den Protagonisten zu umreißen, aber bei weiblichen Helden geht es selten ohne Liebe. Entweder verliebt sich die Heldin in einen Mitreisenden, versucht einen Geliebten zu befreien, zu finden oder sonstwie zu retten - als gelte es, eine Frau vor allem darüber zu definieren, wen sie liebt, nicht wer sie als Person eigentlich ist.

3. Hochkämpfen in einer patriarchalischen Gesellschaft
Eine erfolgreiche Frau erarbeitet sich ihren Erfolg in der phantastischen Literatur oft gegen den Widerstand der von patriarchalischen Werten geprägten Umgebung. Sei es die Kriegerin/Soldatinin, die bei einer Armee oder einem Orden dient und dort ein Sonderfall ist, dem man nichts zutraut, sei es die Adelstochter, die eigentlich nur auf dem Heiratsmarkr verortet war und ihre Umgebung durch einen eigenen Willen und andere Zukunftspläne verblüfft, oder aber die junge Magierin, die sich im akademisch-maskulinen Umfeld beweisen muss, es geht stets darum, dass eine Frau in einer Männerwelt erscheint und versuchen muss, ihren eigenen Weg darin zu finden. 
Weltenkonstrukte, in denen grundlegende Gleichberechtigung herrscht und damit solche Konflikte entweder nicht stattfinden oder auf einer anderen Ebene angesiedelt wären, sind selten - obwohl uns eigentlich die Phantastik alle Mittel sowie die Freiheit in die Hand gibt, derlei zu ändern.

4. Heldin muss vom männlichen Helden gerettet werden
Egal, wie viel der weibliche Held kann und bislang geleistet hat, irgendwann gibt es im Lauf der Erzählung eine Stelle, in der sie durch den männlichen Helden, einen Begleiter, Bruder, Geliebten, Freund oder ähnliches gerettet werden muss, weil sie ansonsten ein schreckliches Schicksal erleidet oder maßgeblich bei der Erfüllung ihrer Heldenreise behindert werden würde. Anstelle sich durch eigene Ideen, List, Tücke oder auch Glück selbst befreien zu können, bedarf es eines männlichen Einflusses, der ihr überhaupt wieder ermöglicht, die Person zu sein, die sie ist.

Diese vier Elemente finde ich bei fast allen phantastischen Erzählungen aller Art vor, wenn ein weiblicher Held involviert ist - Herausforderungen für Frauen hängen anscheinend in den Köpfen der Autoren und Autorinnen vor allem damit zusammen, sich auf einen Mann als Hindernis oder Lösungsansatz zu beziehen. 
Ich weiß noch, wie überaus positiv überrascht ich war, dass beim "Mad Max"-Reboot "Fury Road" mit Imperator Furiosa nicht nur eine ausgesprochen kompetente Frau die Erzählung mitbestimmte, sondern es zudem noch keine Romanze mit Mad Max gab, sondern beide in gegenseitigem Respekt den Fähigkeiten des jeweils anderen gegenüber einfach ihren Job gemacht haben - und weder Furiosa noch Mad Max dadurch schwächer, hilfloser oder nutzloser wirkten als der/die jeweils andere. Die Überraschung resultierte auch daraus, dass eine solche Story wirklich selten ist - sonst wäre ich vermutlich weit weniger darüber gestolpert.

Meine Frage wäre also: Warum muss sich ein weiblicher Held so häufig auf einen Mann als Hindernis, Herausforderung oder Bezugspunkt fokussieren? 
Gute Geschichten lassen sich auch schreiben, indem eine Heldin Probleme löst und vor neue Situationen gestellt wird, in denen sie sich behaupten muss, Verzweiflung und Schmerz erlebt und sich philosophischen wie kulturellen Schwierigkeiten entgegen stellt, ohne dass die Ursache des Erzählungsgrundkonflikts ein Mann sein muss. 
Es würde der Phantastik sehr gut tun, würden AutorInnen hier ein bisschen genauer reflektieren, woraus die Herausforderungen ihrer Heldinnen bestehen, woraus diese resultieren und, wenn die Heldin nur über ihren Bezug zu einem männlichen Charakter 'funktioniert', sich Alternativen zu überlegen.
Wenn die genannten vier Elemente vermieden werden, ist es meiner Ansicht nach ganz gleich, ob nun ein Mann oder eine Frau (oder eine Person sonstiger geschlechtlicher Identität) der/die AutorIn einer phantastischen Erzählung ist oder was das Geschlecht der Hauptfigur ist, es werden ganz sicher vielschichtigere Geschichten dabei herauskommen. Ich wünsche mir glaubhafte, lebensechte und 'rund' gestaltete Handelnde, tiefgreifende Charakterisierungen, abwechslungsreiche Blickwinkel - und ob man das als Leser bekommt, hat nun wirklich nichts mit dem Geschlecht der Hauptfigur zu tun.

Über Gloria H. Manderfeld

6 Eure Meinung zu den Nerd-Gedanken:

  1. Ich kann dir nur zustimmen. Die Repetetivität weiblicher Verhaltensweisen in Romanen (überaschenderweise auch von weiblichen Autoren) ist schon auffällig. Aber bei männlichen Charakteren genauso. Das geht teilweise soweit dass sich weibliche und männliche Charaktere gegenseitig zu bedingen scheinen. Er ist stark und mutig und alles was sie sich ersehnt (egal welche Eigenschaften der weibliche Chara hat), ergo verliebt sie sich in ihn. Das gesamte Konstrukt ist dabei meiner Meinung zu abgedroschen. Aber die Leserschaft scheint oftmals aber eben auch genau das zu erwarten.

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    1. Ja, das fürchte ich auch - dass inzwischen doch sehr viel "Lesererwartungsbedienen" bei alledem mit dabei ist, sich Autoren, aber auch Verlage nicht mehr zu trauen scheinen, Leser mit Themen zu konfrontieren, die von den Erwartungen abweichen.
      Was schade ist - denn ich denke, es würde jedes Lesegenre voranbringen, wenn mehr Mut zu neuen Gedanken bei Geschichten einfließen würde.

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  2. Genau darum bin ich ein großer Fan von Mass Effect. In den ersten drei Teilen spielt man Commander Shepard. Ob dieser nun ein Mann oder eine Frau ist, ist ebenso wie die Ethnie und das Aussehen Wahl des Spielers. Abgesehen von der Optik und der Stimme hat das aber so gut wie keinen Einfluss auf die Geschichte. Gut, die möglichen Romanzen verändern sich, aber beide tun das gleiche, erleben das gleiche und werden gleich behandelt. Daher kommt auch kein einziger der obigen Punkte zum tragen.

    In meinen Augen im Bereich der Science Fiction das beste Beispiel für eine starke Frauenrolle.

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  3. Richtig toller Artikel, bravo!

    Ich möchte an dieser Stelle mal bitterböse fragen: Warum werden eigentlich nie Männer vergewaltigt? Ist das zu pervers oder was? Nicht, dass ich auf sexuelle Gewalt stehe, aber es ist schon sehr auffallend, dass Männer dabei fast immer nur Täter und nie Opfer sind.

    Jedenfalls mag ich aus unter anderen diesen Gründen die Bücher von Brandon Sanderson so gerne, da Frauen da eben nicht (ständig) so wie oben behandelt werden. In seinen Büchern werden unterschiedliche Gesellschaftsformen entworfen, teilweise mehrere in einem Buch, weil es verschiedene Völker sind. Oft genug gibt es dann zwar klassische Geschlechterrollen, aber eben nicht immer.

    Leider fällt mir aber bei vielen Autoren auf, dass sie zwar Protagonistinnen einsetzen, aber diese dann allzu oft verkappte Männer sind. Insofern sehe ich da schon Bedarf, dass mehr Frauen schreiben ...

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  4. Sehr interessanter Artikel. Anbei ein paar Anmerkungen zu Deinen Punkten 1 und 4.

    1. Diesbezüglich ist ja das Ende von Outlander (erste Staffel und dementsprechend vermutlich auch Buch 1) ziemlich ungewöhnlich, weil hier exzessiv die Vergewaltigung eines Mannes gezeigt wird. Die Frau hingegen wird nicht vergewaltigt, weil der Täter homosexuell ist und es daher nicht hinbekommt.

    4. Ja, das war bei Mad Max mal interessant gemacht!

    Wie ist es mit Eowyn bei LOTR? Im Prinzip erleidet sie ja das oben von Dir beschriebene Schicksal, sprengt aber die gesellschaftlichen Fesseln und tötet am Ende einen "Endgegner", den kein Mann töten kann. Dann droht sie jedoch zu sterben, wird aber durch die Liebe eines Mannes (Faramir) gerettet. (Ich bin mir jetzt gerade nicht sicher, ob das in Buch und Film gleich beschrieben wird.) Das ist dann wieder eine Form der Rettung, die bei beiden Geschlechtern gleichgut funktioniert und für die es bestimmt einige Beispiele gibt. Wenn ich das Beispiel Eowyn richtig im Kopf haben sollte, hieße das, dass im LOTR, der ja schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, Frauen grundsätzlich eher Randerscheinungen sind, diese eine Heldin aber eben eine eigentlich ganz gut entworfene Heldin ist, wobei hier die Heldinnen der nordischen Mythologie als Vorlage gedient haben dürften. Muss ich nochmal nachlesen ;-)

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    1. Wenn ich mich richtig erinnere, dann geschieht die Annäherung zwischen Eowyn und Faramir in den Häusern der Heilung, und das auch nur ganz langsam.

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