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Dystopie

Rezension: Blade Runner 2049


Im Los Angeles des Jahres 2049 hat sich die Welt gewandelt: das extrem lebensfeindlich gewordene Klima erfordert besondere Anbaumethoden von Proteinwürmern, um die gewachsene Bevölkerung zu ernähren. Die ursprünglich nur auf den Erdkolonien eingesetzten synthethischen Menschen, welche auch Replikanten genannt werden, dürfen nun auf der Erde leben und werden in für die Allgemeinheit nützlichen Bereichen eingesetzt.
Die neue Baureihe an Replikanten hegt entgegen den Vorläufermodellen keinen Groll mehr gegen ihre Erbauern und verfügt über eine einprogrammierte, begrenzte Funktionszeit. Replikanten verrichten unangenehme, gefährliche Tätigkeiten – wie beispielsweise Officer K, welcher als Blade Runner im Auftrag des LAPD Replikanten früherer Baureihen mit unbegrenzter Lebenszeit jagt und ‚in den Ruhestand versetzt‘, um diese von der restlichen Gesellschaft fernzuhalten.

Der von seinen Kollegen und Nachbarn wenig geschätzte K lebt alleine in einem Apartment in einem riesigen Wohnblock, einzig begleitet von einer künstlichen Intelligenz namens Joi, welche seinen Alltag als holografische Gespielin begleitet und darauf programmiert ist, all seine Erwartungen zu erfüllen. Als Officer K in einem Farmhaus einen bulligen Replikanten in den Ruhestand versetzt, werden auf dessen Grundstück in einer Kiste sorgsam vergrabene Knochen aufgefunden, welche die Seriennummer einer Replikantin tragen, die vor gut dreißig Jahren ein Kind entbunden hat und somit das einzige bekannte zeugungsfähige Modell darstellt.
Der momentane Replikanten-Hauptproduzent und Industrielle Niander Wallace bekommt Wind von der Tatsache, dass es zur Mutter auch noch ein Kind geben muss – und sowohl K als auch Wallaces Lieblingsreplikantin und Assistentin Luv werden auf die Suche geschickt, dieses Kind ausfindig zu machen…


Der zweite »Blade Runner« Film setzt die bereits im Ursprungsfilm 1982 gestellten Fragen und das Weltkonzept einer düsteren Zukunftsvision konsequent fort: auch wenn es nirgends explizit angesprochen wird, so stößt man als Zuschauer doch an jeder Ecke auf Gedankenansätze um das Thema Menschlichkeit und was einen Menschen eigentlich ausmacht. Dabei erscheint das vorgestellte Weltkonzept gar nicht so unwahrscheinlich, da die Erde nach einer Klimakatastrophe nur noch einen wenig geeigneten Lebensraum für die Bevölkerung darstellt und nur durch hochentwickelte Technik noch Nahrung liefern kann.


Mit vielen Details und Zwischentönen wird die herrschende Zwei-Klassen-Gesellschaft artikuliert, in welcher natürlich geborene Menschen auf alle Replikanten herab blicken und deren Arbeitskraft für all jene Jobs nutzen, die ihnen zu gefährlich oder zu unangenehm sind. Das schließt auch Replikantenprostituierte ein, welche den Normalmenschen zu Diensten sind.

Wer den ersten Film kennt, wird aber auch andere bekannte Elemente entdecken: Atari-Werbetafeln finden sich in »Blade Runner 2049« genau wie PanAm-Embleme wieder, beides Konzerne, welche in der Realität längst kaum mehr eine Rolle spielen, wohl aber 1982 groß im Geschäft waren und damit damals ein passender Werbepartner waren. Dabei präsentiert sich gerade der Großraum Los Angeles als ausgesprochen düster, grau und feucht – eine Zukunftsvision, die einem schon vom Zusehen nicht unbedingt Begeisterung abringt und ein unangenehmes Grundgefühl mit sich bringt.

Umso deutlicher erscheinen die in der reichhaltigen Bildsprache des Filmes gezeigten Kontraste: beispielsweise das später im Film besuchte und in warmen Gold-, Braun- und Rottönen gezeigte Las Vegas, oder die Arbeitsstätte einer Konstrukteurin für Replikantenerinnerungen, die in hellen Weißtönen aufwartet, ohne klinisch oder kühl zu wirken. Grellbunt mischt sich vor allem künstliches in die Kulisse: Werbetafeln, holografische Elemente und die Kleidung der Replikanten-Prostituierten stechen aus dem graublauen Einheitsbrei heraus und betonen den Unterschied zwischen natürlich und erschaffen einmal mehr.


Dafür bietet gerade die holografische Gefährtin Ks das beste Beispiel: sie ist extrem wandlungsfähig und switcht teilweise innerhalb weniger Minuten ihr Erscheinungsbild vollkommen, um der im jeweiligen Moment geforderten Rolle zu entsprechen. Als interessante Randerscheinung muss ebenfalls bemerkt werden, dass im Film zwar Zukunftstechnologien gezeigt werden, diese aber einen gänzlich anderen Entwicklungsweg genommen zu haben scheint als unsere heutigen Gadgets wie Smartphone oder Tablets und sich durch ihre robustere Optik hervorragend in den Stil des Filmes einpassen.

»Blade Runner 2049« benutzt bei der gesamten Erzählung ein langsames, im Vergleich zu anderen SciFi-Filmen der letzten Zeit geradezu gemächliches Erzähltempo und lässt dem Zuschauer viel Zeit, sich mit den Kulissen und der porträtierten Gesellschaft vertraut zu machen. Wer also ein fulminantes Actionspektakel erwartet hat, wird enttäuscht werden – dafür bekommen Zuschauer mit einem Sinn für Zwischentöne und eigene Gedanken umso mehr geboten. 
Viele Dinge werden nie konkret ausgesprochen und doch deutlich gezeigt: gerade die Kernfrage des Filmes, was eigentlich Menschlichkeit bedeutet und ab wann man sich als Mensch bezeichnen darf, wird durch das Verhalten und die moralischen Ansätze der handelnden Personen immer wieder aufgebracht.


Ist eine Replikantin, die sich das Ziel gesetzt hat, die beste unter allen Replikanten zu sein, durch ihren Ehrgeiz unmenschlich oder macht ihre Zielstrebigkeit sie nicht menschlicher als gedacht? Wird Menschlichkeit durch Mitgefühl, moralisches Handeln und den richtigen Grund zu sterben bestimmt? Ab wann handelt ein Mensch so unmenschlich und grausam, dass man ihn einen Unmenschen nennen muss, gegen den das Mitgefühl synthetischer Menschen umso deutlicher wirkt? Verändert sich die Perspektive eines Replikanten auf seine Existenz entscheidend, wenn er hoffen darf, dass er geboren und nicht geschaffen wurde? Sind die Replikanten durch ihre gezeigte größere Barmherzigkeit nicht eigentlich die besseren Menschen?
Beantworten muss sich diese Fragen jeder Zuschauer selbst, was die eigentliche Kunst dieses Filmes ausmacht: zwar entwickelt sich die Storyhandlung bis zu einem unvermeidlichen Ende, doch geschickt wird auch ein Funke Hoffnung mit eingebracht, der einen versöhnt zurücklässt.

Erfreulich gut besetzt auf Schauspielerseite versammelt »Blade Runner 2049« eine gute Mischung aus bekannten Gesichtern wie Ryan Gosling als Officer K oder Jared Letho als Niander Wallace, Robin Wright als Lieutenant Joshi und Newcomern wie Silvia Hoeks in der Rolle der Replikantin Luv oder Ana de Armas, die als künstliche Intelligenz Joi einen emotionalen Sidekick zu Officer K darstellt. 
Hier scheint die Bekanntheit weniger im Vordergrund gestanden zu haben als passende Verkörperung der jeweiligen Rolle, sei es nun Goslings emotionskarge Darstellung eines Replikanten-Blade Runners, der seine Emotionalität erst im Lauf der sich entwickelnden Erzählung entdeckt und daran seine Mimik anpasst, Wrights zwischen Forschheit und Effizienz schwankende »Madam« oder der einfach grandios gottkomplexbelastete, skrupellose Wallace, bei dem Leto einmal mehr beweist, dass er eine recht breite Variation an Bösewichtern spielen kann, ohne sich zu wiederholen.


Richtig intensiv werden auch Hoeks und de Armas in Szene gesetzt, die beide künstliche und in ihrer emotional-moralischen Ausrichtung entgegen gesetzte Lebensformen darstellen, ohne es an Greifbarkeit oder Nachvollziehbarkeit missen zu lassen. Außer Konkurrenz steht hier Harrison Ford, welcher als Officer Deckard einen herrlich launisch-verschrobenen und von seinen Erlebnissen sichtlich gezeichneten Mann darstellt, der sich mit einer sehr bitteren Lebens-Entscheidung arrangieren musste.

Ein wenig enervierend in stetiger Gleichförmigkeit sind die Synthesizer-Sounds ganz im Stil der 80er Jahre, die den ansonsten gelungenen und atmosphärischen Soundtrack ergänzen, doch waren diese Momente nicht zu zahlreich, um die Gesamtqualität wirklich zu mindern. Generell ist das Sound- und Bilderlebnis des Filmes ein passendes Gesamtpaket und kann auch in der 3D-Version durch seine eher subtil eingesetzten Effekte überzeugen.
Wer sich durch intensive Kampfszenen sowie deutlich gezeigtes Leiden und Schmerz verunsichert fühlt, sollte jedoch von »Blade Runner 2049« Abstand nehmen: gerade der Endkampf ist in seiner Intensität erschreckend und sehr bedrückend, da der Todeskampf eines der Kombattanten sehr direkt gezeigt wird. 

Alle Elemente vereinen sich zu einem Film, der ganz sicher keine leichte Kost ist und den derzeit wohl eher an buntes Geballer gewöhnten Zuschauer auf eine ganz andere Weise fordert als andere Filme dieses Jahres. Aber gerade das macht »Blade Runner 2049« für mich zu einer der wenigen Veröffentlichungen, denen ich ohne Zögern meine maximale Wertung gebe: wenn es ein Film schafft, mich zum stundenlangen Diskutieren anzuregen und mich auch nach Tagen noch nicht in seinen Grundthemen loslässt, ist es das Gesamterlebnis absolut wert.

Fazit: Tiefgreifende, langsam erzählte SciFi-Story, die sowohl starke Charaktere als auch eine zum Nachdenken herausfordernde Handlung offenbart. Zehn von zehn möglichen Punkten.

Filmdetails:
Titel: Blade Runner 2049
Originaltitel: Blade Runner 2049
Originalsprache: Englisch
Erscheinungsjahr: 2017
Länge: 164 Minuten
Altersfreigabe: FSK12
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Hampton Fancher, Michael Green
Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Robin Wright, Ana de Armas, Jared Leto, Sylvia Hoeks, Carla Juri, Edward James Olmos, Wood Harris

Über Gloria H. Manderfeld

2 Eure Meinung zu den Nerd-Gedanken:

  1. Schau ihn soeben, diesen neuen Blade Runner. Nichts mehr hinzuzufügen. Liebe Grüße.

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    1. Dankeschön - und freut mich, dass Du meiner Meinung bist :) für mich ist das DER Top SciFi Film des Jahres bisher. Liebe Grüße zurück!

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